
Wer sich mit der Geschichte der Balkanstaaten auch nur ein wenig befasst, kommt an einer Stadt nicht vorbei: Mostar. Sie gilt als wichtigste Stadt der Herzegowina und wird sowohl durch die Neretva als auch durch eine konflikt- und kriegsbehaftete Vergangenheit in zwei Teile gespalten: den Westteil, in dem hauptsächlich bosnische Kroaten und den Ostteil, in dem hauptsächlich Bosniaken (Muslime) leben. So verworren das klingt, ist es auch, zumal Bosnien und Herzegowina jahrhundertelang von den Osmanen besetzt war. Als besonders symbolträchtig gilt die Alte Brücke, die beide Teile Mostars miteinander verbindet. Auch wir wollen ein wenig von Mostars Geschichte erleben und machen uns mit unserem fahrbaren Zuhause auf den Weg. Ein bisschen mulmig ist uns schon: DER Touristenmagnet in der Region und all unser Hab und Gut unbewacht am Straßenrand? Unbewacht? Muss nicht sein, schließlich gibt´s ja bewachte Parkplätze in Altstadtnähe. Der empfohlene Parkplatz wird von einem Rentner betreut und ist eigentlich ein Schulhof (es scheint gerade Pause zu sein). Wir erhalten einen handgeschriebenen Zettel mit unserer Ankunftszeit und der Bitte, den zu entrichtenden Preis später selbst auszurechnen (eine Mark pro Stunde) und Gebühr und Zettel in einen am Zaun aufgehängten Briefkasten zu werfen. Es wird uns Vertrauen entgegengebracht, also haben wir halt auch mal welches… Erster Eindruck von Mostar? Voll! Na klar, es wurde ja schon einmal erwähnt: wo es schön und interessant ist, erscheinen natürlich gerne auch andere Menschen. Und dass Mostar schön ist, ist nicht zu bestreiten! Zweiter Eindruck? Wir befinden uns im Orient! Und daran ist nicht nur der Gebetsruf schuld, der von den verschiedenen Minaretten Mostars erklingt, sondern auch die Basar- Atmosphäre, die sich beim Bummeln durch enge Gässchen sofort einstellt.

Die runden Pflastersteine wirken wie poliert und wer mit falschem Schuhwerk (Absätze!) angereist ist, stakst oftmals sehr unsicher daher. In den vielen Lädchen gibt es zum Teil wirklich schöne Handwerkskunst zu bestaunen (Schmuck, orientalische Kaffeservice, Bilder) und auch die Künstler selbst können hier und da bei der Arbeit beobachtet werden, teilweise gibt´s natürlich auch den üblichen Touristen-Nepp zu kaufen. So ein hübsches Kaffeegedeck könnte doch..? Nichts da! Der Minicamper ist schon voll genug (ist Jürgens Ansicht) – schade! Und dann stehen wir auch schon auf der Alten Brücke und wandern von Ost nach West. Sehr steil ist sie, man kann sich das mühsame Gerumpel der alten Fuhrwerke gut vorstellen, die diese Brücke früher überqueren mussten, um Handel zu treiben. Um ein Zurückrollen der Wagen zu verhindern sind allenthalben Schwellen in den Boden eingelassen. Doch halt! Ich rufe mir schnell in Erinnerung, dass ich mich nicht auf dem Original aus dem 16. Jahrhundert befinde. Dieses wurde damals vom Sultan in Auftrag gegeben und sollte eine alte Holzbrücke ersetzen. Neun Jahre dauerte der Bau des 21 Meter hohen Bauwerks und angeblich floh der Baumeister, ein Mann namens Hajrudin noch vor der Entfernung des Holzgerüstes. Anscheinend traute er seiner eigenen Konstruktion nicht und für den Fall eines Einsturzes hatte der Sultan ihm den Verlust seines Kopfes versprochen. Hajrudin hätte nicht so selbstkritisch sein müssen, denn die Brücke symbolisierte 427 Jahre lang den Brückenschlag zwischen Islam und dem Christentum und stürzte erst am 9. November 1993 in die Neretva, getroffen von kroatischen Panzern während des Bosnien-Krieges. Sie sollte übrigens originalgetreu aus den gleichen Materialien wieder aufgebaut werden, Taucher bargen die Trümmer aus dem Fluß. Diese waren jedoch unbrauchbar, also wurden neue Quader in einem nahegelegenen Steinbruch geschlagen. Satte 15 Millionen Euro sollte das ganze Projekt kosten, 2004 wurde die neue Brücke eingeweiht. Und hier stehen wir nun also. Jürgen sogar schon zum zweiten Mal in seinem Leben, denn Anfang der 80er Jahre stiefelte er schon über das Original!

Doch nicht nur Touristen flanieren über die Brücke. Auf den Geländern turnen junge Männer in Badehosen („Mad hoppers“ steht auf dem Hinterteil) und animieren die Touristen mit allerlei Gorilla-Posen, ein Körbchen mit Geldmünzen zu füllen. Und dann? Ein Protagonist übergießt sich (zur Vorbereitung) mit einem Eimer Wasser (nein, es ist nicht die Icebucket-Challenge, das hier macht mehr her!), steigt auf´s Geländer und stürzt sich 21 Meter tief in die grüne Neretva. Zuschauende Touristen applaudieren, pfeifen und haben ihren Adrenalin-Kick für diesen Tag erhalten! Hinter diesem Spektakel steht übrigens eine Tradition, die mindestens seit 1664 besteht und von der Mostarer Gilde der Brückenspringer durchgeführt wird. Man lernt nie aus!

Im Westturm der Brücke befindet sich ein kleines Museum, das mit großen Schwarz-weiß-Aufnahmen die Zerstörung der Stadt, die Angriffe aus den umliegenden Bergen und das Leben der belagerten Menschen dokumentiert. Ein Krieg, der nicht weit weg ist, sondern zu unseren Lebzeiten stattfand und immer noch nachwirkt. Und wie normal das Leben in Mostar trotz alldem wirkt! Am Rande entdeckt man aber immer wieder auch Zeichen der Armut, in der Teile der Bevölkerung nach wie vor Leben: Kinder, die zum Betteln vorgeschickt werden, eine alte Frau, die in Mülltonnen wühlt und – besonders entsetzlich - junge Frauen, die bettelnd am Straßenrand sitzen, tief und fest schlafende Kinder im Arm. Man bekommt den schrecklichen Verdacht, dass den Kindern Schlafmittel oder Ähnliches eingeflößt wurde, um sie so ruhig zu stellen und in Szene zu setzen… Himmel und Hölle in Mostar! Unser Auto konnte übrigens (trotz nicht mehr anwesendem Parkplatzwächter) unversehrt wieder eingesammelt werden. Und heute musste ausnahmsweise keine Forelle unseretwegen ihr Leben lassen (siehe Bild😉)!
Kommentar schreiben