
Neues Ziel: Durmitor-Nationalpark, etwa eine Stunde entfernt. Die Abfahrt verzögert sich jedoch: die Berechtigungsscheine für´s Tara-Paddeln (ein Jahr Gültigkeit!) werden noch für uns abgeholt. Also: wieder toller Blick von der Terrasse auf die funkelnde Tara mit bestem Unterhaltungsprogramm durch ein- und ausreisende Fahrer von LKW, PKW und Bus – Deja-Vue-Erlebnis! Jürgen nutzt die Gelegenheit und bestellt ein Käse-Omelett zum zweiten Frühstück und prompt bekommen wir lokal produzierten Ziegenkäse und die leckeren Priganica dazu. Damit ist dann auch das erste Bier des Tages legitimiert. Trotzdem schaffen wir kurze Zeit später den Absprung (kaum zu glauben) und fahren sofort in den Piva-Canyon (ein Nebenfluss der Tara) ein. Grandios steile Felswände auf beiden Seiten der Schlucht, Tunnel an Tunnel an Tunnel – anders wäre diese Strecke nicht passierbar. Unter uns rauscht die Piva..? Nein, tut sie nicht! Wo ist das Wasser, das über Jahrtausende- und -millionen diese tiefe Schlucht in die Landschaft gegraben hat? Ein paar Kilometer weiter entdecken wir den Grund dafür (und natürlich sind wir nicht überrascht, denn Orbi hat uns schon davon erzählt): ein gigantischer Stausee erstreckt sich im Canyon, das Wasser zwar von herrlicher Farbe, die Ufer jedoch steil, kahl, unnatürlich, zerstört – ein Verbrechen an der Natur, im tiefen Gewässer unwiederbringlich versunken einzigartige Naturschauplätze! Ökologisch gesehen ist Wasserkraft übrigens keine Alternative zu Wind- oder Solarenergien, denn: der Nährstofftransport des Flusses, sowie die Wanderung der Tierpopulation wird unterbrochen. Außerdem setzt die Verrottung der Pflanzen in den unnatürlichen Seen pro Jahr rund eine Milliarde Tonnen Kohlendioxide (Methan) frei. Auch unser sehr friedfertig wirkender Raft-Guide Orbi zeigte sich von solcher Art Entwicklung wenig begeistert und riet, notfalls die Paddel gegen alle Kraftwerksbauer zu erheben.

Wir legen einen kurzen Stopp am Straßenrand ein und treffen auf ein belgisches Paar, Weltenbummler mit bestem Deutsch, er seit Jahren (sogar schon zu Kriegszeiten) im Balkan unterwegs. Er rät uns, als Türöffner von der jeweiligen Landessprache immer ein paar Brocken in petto zu haben. Können wir: begrüßen, bedanken, verabschieden! Außerdem kann ich mir immerhin alles, was man essen kann ganz gut merken! Wir verlassen die Straße am Canyon, schrauben uns höher und höher, haben bald Laubwälder und in den Fels gesprengte Tunnel hinter uns gelassen, inklusive schweißtreibender Aneinander-Vorbeifahr-Manöver auf nahezu einspurigem Sträßchen direkt an steil abfallender Kante: Camper gegen Wohnmobil! Wir bereuen es trotzdem nicht, denn uns erwartet die für Montenegro charakteristische dürre Hochebene durchzogen von bizarr geformten Gebirgsketten. Eigentlich hatten wir einen Campingplatz auf der anderen Seite des Durmitors ausgesucht, doch (zum Glück) kommt es anders. Erster Stopp: hier muss Bilbo Beutlin gehaust haben! Ländliche Idylle in endloser Ebene, Heugarben und winzige Häuschen wie aus dem letzten Jahrhundert. Daneben ein VW Polo ohne Räder, aber mit Nummernschild. Kurz darauf neuer Halt: ein Basketballkorb direkt auf der Bergstraße hinter einer Kurve (vermutlich die einzige ebene Fläche), dahinter Bauerngarten mit Häuschen. Ansonsten: nichts! Mit hartem Steppengras bewachsene Hügel laden uns zu einem kleinen Spaziergang ein. Und dann geht´s erst richtig los! Noch höher hinauf, rechts Bergketten und plötzlich ein Massiv, das wirkt, als wäre es zur Seite gekippt! Von einem Ende zum anderen gigantische, tief eingegrabene Felsrippen wie von einer Riesen- Ziehharmonika! Während wir noch versuchen, das Ganze fotografisch in Szene zu setzen durchbricht plötzlich Lärm die Stille: über die gewundene Bergstraße schlängelt sich eine schwarze Diplomatenlimousine mit Blaulicht, dahinter zwei Polizeimotorräder, ebenfalls blau illuminiert. Gefolgt von mehreren hundert Metern Motorradschlange dicht an dicht! „International Police“ lesen wir auf den Westen der Fahrer. Wir lassen sie passieren und geben Vorsprung. Nutzt aber nichts, denn ein paar Kurven weiter Straßensperre: einer der Uniformierten stoppt alle Fahrzeuge: Fotosession vor grandioser Bergkulisse für die Teilnehmer der internationalen Polizeiausfahrt, das kann dauern! Mit uns wartet ein montenegrinischer Seemann mit Familie und amüsiert sich über die Tatsache, dass sich Ex-Jugoslawische Polizisten nun „internationale Polizei“ nennen. Wir witzeln darüber, dass hier oben ja nun der sicherste Platz von Montenegro sein muss, doch er winkt lachend ab: „All safe in Montenegro!“ Er muss es wissen, denn er ist schon zehnmal um die Welt gereist!
Gemeinsam warten wir und entdecken dabei am Straßenrand ein Schild: “Kamp“. Wir folgen mit den Augen dem Pfeil und entdecken: eine Senke mit Feuerstelle, umgeben von endlosen hügeligen Weiten inklusive der bizarren Felsformationen am Horizont. Auf einer Hügelkuppe ein Betonhaus. Ansonsten: wieder nichts! Wir rumpeln die ausgewaschene Piste hinunter und haben freie Platzwahl! Das Betonhaus selbst ist verschlossen, kein Mensch zu sehen, dahinter ein Klohäuschen, in den Angeln hängende Tür und Loch im Boden. Prost Mahlzeit! Der Rest des Kamps aber zum Niederknien schön – wir bleiben! Eingekauft haben wir noch nicht (wo auch?) – was geben die Vorräte so her? Aus roten Linsen, einem Rest Spätzle, Brühwürfel und Kartoffeln basteln wir einen schwäbisch-montenegrinischen Kartoffelschnitz-Spatzen-Linsen-Eintopf und freuen uns über die Entdeckung dieses wunderschönen Stückchens Erde! Ein Feuer wird alsbald entfacht, denn sobald die Sonne hinter den Hügelketten versinkt fällt die Temperatur gefühlt minütlich um mehrere Grad – immerhin befinden wir uns auf 1700 Meter). Kurz darauf rumpelt ein Kleinbus besetzt mit fünf polnischen Wanderern auf den Platz und einige Zeit später sitzen wir alle am Feuer und versuchen uns in einem Mischmasch aus englisch, deutsch und polnisch (ja, ich kann das: danke Ania!). Und noch etwas später haben die Polen die Gitarre ausgepackt und wir lauschen polnischen Folk-Songs. Und die fünf können das wirklich gut! Über uns das ganze Universum mit Millionen Sternen und der Milchstraße, um uns die komplette Weite und Stille Montenegros und ein knisterndes Lagerfeuer! Kann man solche Erlebnisse kaufen? Nein, kann man nicht! (… und nachts, auf dem Weg zum Plumpsklo knistern die gefrorenen Steppengräser unter unseren Füßen…)
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