
925 m. ü. M. Aufwachen nach einer SEHR kurzen Nacht. Mit uns im Hotel dreißig bis vierzig junge Erwachsene vermutlich aus aller Herren Länder, alle reden englisch, keiner ist native Speaker. So weit, so nett. Weniger nett: sie feiern die ganze Nacht in der extrem hellhörigen Bar, das heißt, alle anderen feiern unfreiwillig mit. Ich beglückwünsche mich zu meiner nicht ganz so guten Hörfähigkeit und schlafe dann doch ein. Jürgen eher nicht. Heute Morgen also übernächtigte Stimmung. Dafür ist das Frühstück fantastisch! Wir haben zwar gelernt, dass die erste Mahlzeit des Tages in Bulgarien wohl nicht die wichtigste ist, in Hotels aber stellt man sich natürlich auf touristische Essgewohnheiten ein. Ich bin in der Regel überhaupt nicht scharf auf touristische Extrawürste, aber heute (vor allem nach dem Frühstücks-Desaster vom Vortag, ihr erinnert Euch: der durchgeweichte Obstriegel) freue ich mich doch über solche Art Luxus. Vor allem, da es ein paar nette Extras gibt: Banitsa (Blätterteig mit Schafskäse) und verschiedene hausgemachte Obstkompotte.

1600 m. ü. M. Eine Wanderung zu den sieben Rila-Seen im nordwestlichen Teil des Rila-Gebirges steht auf dem Programm. Angeblich eine der meistbesuchten Attraktionen in Bulgarien, die grandiosen Bilder und Berichte sprechen allerdings dafür, dass der Geschmack der Masse nicht immer falsch ist! Wir wagen es also. Drei Möglichkeiten gibt´s, um an den Startpunkt der Wanderung zu kommen: drei bis vier Kilometer vom Parkplatz zur ersten Hütte marschieren, den Lift nehmen oder sich mit einem Jeep hinauffahren zu lassen. Letzte Alternative vermutlich eher teuer und extravagant, dann eben den Sessellift. Denken wir. Bis uns auf dem Parkplatz Stravko anspricht: „You need Jeep?“ Er zeigt auf seinen staubigen Mitsubishi Pajero. Ich kenne mich nicht aus, aber Bodenfreiheit ist vorhanden (wir werden sie brauchen, aber noch kenne ich die Piste nicht)! Zwanzig Lev pro Person „up and down“. Kommt uns wenig vor, darum fragen wir nochmal. Stimmt aber: für zehn Euro komplett ist der Spaß zu haben. Na dann: zumindest ich kann noch keine Erfahrung im Offroad-Jeep-Fahren aufweisen. Voll möchte Stravko seinen Jeep dann aber doch haben, also rührt er weiter die Werbetrommel und überzeugt David (Israeli aus New York) und seine beiden israelischen Kumpels aus Israel. Der Osten Europas ist in Israel eine sehr gefragt Reise-Region, lernen wir. Einer der Kumpels darf im Kofferraum seitlich sitzend auf einem Holzbänkchen Platz nehmen und los geht die Fahrt! Vom Parkplatz ab nach rechts – und ich kriege erstmal große Augen! Die Piste ist extrem steil und weist Spurrillen auf, in denen man einen Kleinwagen versenken könnte. Dazu größere und mittlere Steinbrocken überall! Sowas geht??? Ja, sowas geht! Stravko bugsiert sein Auto routiniert in die Rinne, während der Rest der Mannschaft rückwärts in den Sitz gepresst wird (und der israeliche Kumpel vermutlich platt an die Heckscheibe). Schlag um Schlag rumpeln wir gen Himmel. David auf dem Beifahrersitz (links in diesem Fall, da der Mitsubishi ein Rechtslenker ist) gibt etwas zittrig seiner Bewunderung Ausdruck. Stravko beherrscht zwar den Jeep, kaum aber die englische Sprache, also wird der Daumen anerkennend gereckt. Daraufhin kutschiert Stravko einhändig weiter, zückt sein Handy, spricht bulgarischen Text hinein und hält es uns stolz grinsend mit der englischen Übersetzung unter die Nase. Seit zehn Jahren macht er das nun schon, er kann das also! „Good driver“, lobt David. „Number one!“ brüstet sich Stravko. Und weil alle so offensichtlich zufrieden mit ihm sind, gibt´s ein Extra-Schmankerl. Stravko biegt links vom Weg ab und bugsiert sich auf einen Waldpfad. Ob dieser Aktion wird der Jeep dann nochmal aufmunternd getätschelt und die Steigung nimmt, man mag es nicht glauben, nochmals zu. Kaum passte das Auto zwischen den eng stehenden Bäumen hindurch, alle krallen sich an ihren Sitzen fest. Was macht der israelische Kumpel? Keine Ahnung, nichts zu hören. Irgendwann geht´s zurück auf die Felsrinne, bald liegen wir krumm und schief in einer Spurrille, mal katapultiert es die ganze Mannschaft synchron in die Luft. Plötzlich tauchen auf unserem Weg mehrere Riesenpfützen auf, mitten hindurch rumpelt der Wagen. "The seven lakes", witzelt Stravko, wahrscheinlich nicht das erste Mal an diesem Tag. Ich kann nicht sagen, dass es keinen Spaß macht! Nach etwa 25 Minuten erreichen wir alle völlig durchgeschüttelt den Rand des Nationalparks: ab hier müssen wir selbst auf unseren wackeligen Beinen weiter laufen.

2050 m. ü. M. Und hier beginnt ein Naturwunder der besonderen Art! Sieben Bergseen liegen hier auf unterschiedlichen Höhen in einer einzigartigen Landschaft aus zerklüfteten roten und dunkelgrauen Felszacken, -klippen und -wänden. Mit dem ersten Blick erfassen wir eine steil aufragende, rote Klippe, die nach links im Nebel verschwindet. Wirbelnde Wolkenmassen werden vom Wind talaufwärts getrieben und verdecken einmal die spitzen Bergketten, um gleich darauf wieder aufzureißen und einem einen freien Blick darauf und in die Tiefe zu gestatten. Rechts ein dunkles, spitzes Steinmassiv wir eine Festung. Bestens kann man sich in der Dämmerung leuchtende Fensterschlitze und speerbewaffnete Wächter darauf vorstellen. Eine mystische Welt und das sehen nicht nur wir so. Auch für die Menschen aus der Umgebung war diese Region von jeher ein spiritueller Ort, worauf auch die Namen und Bedeutungen der einzelnen Seen hinweisen. Wir machen uns also auf den Weg die Klippe hinauf. Und natürlich sind wir, wie erwartet, nicht die einzigen. Am höchsten Punkt ein Blick in die Talsenke: die vier tiefer gelegenen der sieben Seen sind blaugrün in die Berglandschaft eingebettet zu erblicken -WOW! Unbeschreiblich, darum gibt´s natürlich auch wieder Bilder. An einem Fels mit Blick auf das Naturspektakel ein indisches Paar im Fotofieber. Er extra im schicken Hemd zu Berge gestiegen und für die Session wird ein unverzichtbares Accessoire gezückt: die verspiegelte Sonnenbrille. Aus allen Richtungen, in allen erdenklichen Positionen wird abgelichtet: eine todernste Angelegenheit, die ihre Zeit braucht. Wir steigen also weiter und kurz darauf erblicken wir rechts den See „die Niere“ der mit seiner gebogenen Form auch wirklich so aussieht. In besonders wasserarmen Sommern trocknet er wohl so weit aus, dass er sich in der Mitte teilt und zwei Seen bildet. Und ab hier wird´s plötzlich merklich leerer, ab hier trifft man keine „Touristen“ mehr, sondern Wanderer. Und noch ein Trend, der nicht nur hier, sondern quer durch Europa zu beobachten ist: jede Menge junge, naturbegeisterte, Leute. Noch bis vor wenigen Jahren war wandern sichtlich eine Aktivität für die ältere Generation, jetzt nicht mehr! Ob Tagestour oder Mehrtageswanderungen: der Altersschnitt hat sich deutlich nach unten verschoben: schöne Entwicklung! Die mittlere Generation (also Jürgen und ich) steigen weiter bergan einen hoch über uns liegenden Gipfel im Visier.

2535 m. ü. M. „Die Träne“, so heißt der höchstgelegene der sieben Seen, benannt, nach dem klaren Wasser und seiner Form. Alle Seen sind übrigens durch kleine Wasserfälle und Bachläufe miteinander verbunden. An seinem Ufer lauter winzige Frösche, die eilig ins Wasser flüchten. Interessant, dass sie sich gerade an diesem unwirtlichsten See wohlzufühlen scheinen, denn an den anderen Seen entdecken wir keine Frösche mehr. Wir steigen noch etwas höher, erklimmen den schon von unten angepeilten Gipfel und werden mit einer herrlichen Aussicht auf die Seen belohnt. Hinter uns schnauft ein Paar in Snowboard-Klamotten hinauf und wartet wahrscheinlich auf Saisonbeginn. Wir haben nicht soviel Zeit und ab hier geht´s wieder bergab. Der nächste See heißt „das Auge“ und ist wohl der tiefste der Seen. Hier treffen wir die beiden Inder wieder und mir wird die Ehre zuteil, ihr Bilder-Portfolio um drei zusätzliche Exemplare zu erweitern: Pärchen-Fotos! Während wir nun entlang der letzten vier Seen („Zwilling“, „Kleeblatt“, „Fischsee“ und „siebenter oder unterster See“) absteigen sind wir übrigens wirklich fast alleine. Schon wieder eine Tour, die nie zuvor Gesehenes in der Erinnerung hinterlässt…

Wir telefonieren mit Stravko – in 45 Minuten werden wir geholt, wird angekündigt. Genug Zeit also für Nudelsuppe und Getränk in der Hütte. Allerdings schickt Stravko seinen Kumpel und der ist eine echte Granate! Schon nach zwanzig Minuten steht er da, zack, eingestiegen (diesmal darf ich auf dem Holzbänkchen Platz nehmen, das Auto ist voll) und braust zu Tal. Bergab zu fahren, nahezu senkrecht die Wand hinunter, und natürlich deutlich schneller als bergauf, überbietet die Fahrt vom Morgen dann noch einmal. Ich kralle mich rechts und links am Holzbänkchen fest, um nicht ständig gegen die Wagendecke geschleudert zu werden. Der Hintern befindet sich zu einem größeren Teil der Zeit in der Luft… trotzdem: man kann nicht sagen, dass es keinen Spaß macht…
740 m. ü. M Sapareva Banja: unser Campingplatz für diese Nacht. Im Restaurant machen wir es so, wie es (laut einem bulgarischen Tipp) hier Brauch ist: vor dem Essen gibt´s Schnaps (wieder Rakia,
diesmal NICHT „large“, trotzdem nicht gerade wenig), dazu Schopska salata – denn die Hauptspeise kommt erst, wenn der Schnaps weg ist!
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