
Die wichtigste Szene des Tages zuerst, denn vor allem meine liebe Kerstin wartet bestimmt seit Wochen auf diesen Moment! Wir haben den Bosporus überquert und befinden uns demnach nicht mehr in Europa, sondern auf der asiatischen Seite der Türkei! Schon im Vorfeld gab es zu Hause in Verbindung mit unserem erstmaligen Verlassen des europäischen Bodens Assoziationen zum „Herrn der Ringe“. Wer erinnert sich noch an die Szene im Getreidefeld (oder war es ein Maisfeld?) als der gute Sam Gamdschi sich zusammen mit seinen Gefährten auf den Weg macht, den Ring zu vernichten und plötzlich stehen bleibt: „Wenn ich noch einen Schritt weitergehe bin ich weiter von zu Hause weg, als jemals in meinem Leben.“ So ähnlich stellten sich alle vor, würde es uns gehen und von Kerstin gab´s noch eine Karte mit besagter Szene und den Wunsch, diese Szene an der Schwelle zu Asien nachzustellen. Das Mini-Theaterstück musste allerdings im Auto erfolgen (und textsicher war ich auch nicht, da meine Vorlage, das Kärtchen, unterm Bett verräumt war – schlechte Vorbereitung, sorry), denn auf der Brücke über den Bosporus sind Fußgänger nicht erlaubt! Aber: wir haben es bis hierher geschafft. Und das war nicht ganz selbstverständlich. Bekanntermaßen sind wir ja mit einem Mietwagen unterwegs, was, wie wir schon im Vorfeld wussten, ein Stolperstein auf dem Weg in die Türkei sein kann. Ausgestattet waren wir mit allen benötigten Papieren, inklusive der speziell für die Einreise in die Türkei relevante „Green Card“ und der vom ADAC beglaubigten Vollmacht in vier Sprachen, unter anderem türkisch. Trotzdem, haben wir erfahren, ist dies alles noch längst keine Eintrittskarte. Und vom Grande Chaos an der Grenze hatten wir auch schon so einiges gehört und gelesen. Wir trafen also sehr gespannt dort ein und bemerkten gleich mal erfreut: das Wetter ist zwar Mist, aber sonst ist hier auch nicht viel los! Mit Glück hatten wir eine gute Zeit und/ oder einen guten Tag erwischt. Zumindest als Nicht- LKW-Fahrer, denn die standen über etliche Kilometer dicht an dicht auf der linken Spur und warteten auf ihre Abfertigung, teilweise mit Stühlen und Tischen neben ihren Fahrzeugen. Was waren wir froh, keinen Truck mehr zu fahren! Wir durften sofort an den Zollschalter vorfahren. Der Beamte dort wirkt allerdings mit unseren Papieren ziemlich überfordert und schickt uns (nach einiger Diskussion, die zumindest er in türkischer Sprache führt) endlich zur Kontrollstation für Fahrzeuge. Auch dort wissen sie nicht so recht, was mit uns anzufangen und lassen uns zur nächsten Station weiterfahren. Und hier endlich eine freundliche Dame, die kompetent die Papiere überprüft und uns … zurückschickt zur Gepäckkontrolle. Dorthin, wo wir hergekommen sind. Heute überhaupt kein Problem, aber wir stellen uns mal kurz vor, wie sowas abläuft, wenn alle acht Spuren mit Autoschlangen verstopft sind. Nein, wir stellen es uns nicht vor, sondern fahren nach Istanbul. Kurzer Stopp noch für die Maut-Plakette. Die gibt´s allerdings nicht an der Tankstelle sondern im Postamt (PTT heißt das hier).

Wir landen in Edirne und befinden uns sofort im Orient. Eine riesige und sehr prächtige Moschee direkt am Zentrum und schon ruft auch wieder der Muezzin. Hier ist viel los, viele hübsche Lädchen, es wirkt ein bisschen, wie auf einem Basar. Das Postamt finden wir und erfahren: „Internet down“. Vielleicht funktioniert´s heute Abend wieder… Damit wir nicht umsonst in Edirne Halt gemacht haben drehen wir noch eine kleine Runde durch die Altstadt und decken uns mit Börek und den tollen Baklava ein. Weiter geht´s und bald befinden wir uns schon im Außenbezirk von Istanbul. Zäh fließt der Verkehr, aber so ist auf jeden Fall Gelegenheit, sich umzuschauen. Unvorstellbar groß präsentiert sich die Stadt. 15 Millionen Einwohner hat sie und wir fahren nahezu zwei Stunden, bis wir sie wieder verlassen. Mal türmen sich rechts und links der Straße Hochhäuser nahezu bis zum Horizont, teilweise hypermodern und verglast bis verspiegelt, teilweise Wohnbaracken. Dann wieder ziehen sich Häusermeere die Hügel hinauf und hinunter und immer wieder Moscheen, manchmal so groß, dass sie wie ein eigener kleiner Berg auf den Hügeln wirken. Und plötzlich links die Trump-Towers! Wir stutzen und googeln. Den Bau dieser Türme veranlasste wohl ein türkischer Milliardär, der den Namen und die Berechtigung dazu vom amerikanischen Präsidenten gekauft hat. Man staunt schon manchmal! Ein paar Kilometer vor der Bosporus-Brücke verlangsamt sich der Verkehr nochmal und Straßenverkäufer tauchen zwischen den Fahrzeugen auf und preisen ihre Waren an. Unter anderem gibt´s Blumensträuße, doch diese werden hauptsächlich allein fahrenden Männern an die Scheibe gehalten. Bald geht´s dann aber doch weiter und es folgt: die grandiose Szene über dem Bosporus. „Wenn ich noch einen Meter weiter fahre bin ich weiter von zu Hause weg, als jemals in meinem Leben!“ Unter uns die Wassermassen, über uns der graue Himmel und Regen pladdert auf´s Autodach.

In der Dämmerung kommen wir an der Schwarzmeerküste an, ein Campingplatz in der Nähe von Sile. Es regnet noch immer, grauweiß und schäumend donnern die Wellen an den Strand und der Wind bläst uns ordentlich durch. Wir sind mal wieder nahezu alleine hier, vier Kühe und ein schwarzweißer Jagdhund schauen uns zu, wie wir den Camper umräumen und unten am Strand brennt in einem einsamen Mobile Home ein Licht. Besagter Jagdhund sorgt allerdings kurz vorm Einschlafen nochmal für einen Schockmoment, Atmosphäre, wir erinnern und kurz: einsamer Platz am düsteren Meeresstrand, die Wellen donnern, der Wind rüttelt heulend am Camper. Plötzlich ein, zwei laute Schläge auf dem Dach! Kurz fühlen wir uns wie im Horrorfilm! Aber: nur der Hund war auf´s Auto gesprungen. Warum? Man weiß es nicht und wird´s auch nicht herausfinden. Der Herr des Campers hat ihn hoffentlich effizient in die Flucht geschlagen. Nun liegen nur noch die vier Kühe im Windschatten des Autos (und hoffentlich eifern sie dem Hund nicht nach!).
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