
Der große Tag! Pünktlich steht der Jeep auf dem Campingplatz bereit – wir sind es auch! Für beide Boote wirkt er etwas kurz, doch unser Fahrer hat die Lösung: während er selbst auch dem Fahrersitz kutschiert (wieder ein Rechtslenker) und Jürgen und ich uns auf den Sitz hinter ihm quetschen sitzt Kacha (ihr wisst noch, Betreuer Nummer zwei) im Kofferraum neben den Booten und hält mittels Schnürchen die Kofferraumklappe zu. Der Trick funktioniert und bald können wir uns selbst von der Nichtbefahrbarkeit der Straße überzeugen. Tiefe, ausgespülte Rinnen nebst Schlaglöchern und Schlammpfützen zieren den Weg. Und es ist sehr steil, denn bis zu 400 Meter ragen die Schluchtwände in die Höhe und diese Distanz nach unten muss erst einmal überwunden werden. Es dauert ein bisschen. Und noch ein bisschen länger, weil unser Fahrer unterwegs anhält, zum einige Esskastanien vom Boden zu klauben und mir durch´s Fenster zu reichen. „Madloba“ (wer hat sich gemerkt, was das heißt?). Endlich unten präsentiert sich der Magana glasklar. „Premiere drei!“ freut sich unser Fahrer – ob er meint, dass er bisher nur drei Gruppen hierher gefahren hat oder ob der Magana überhaupt erst dreimal befahren wurde? Unser deutscher und profesioneller Kontakt hatte zumindest große Probleme, eine Genehmigung zu bekommen… Mir ist´s im Moment aber egal denn – wie immer Erstbefahrungsstress! Kacha will unbedingt noch im Kajak fotografiert werden, aber dann geht´s wirklich los. Und wie!

Die ersten Meter täuschen noch: kleine, übersichtliche Katarakte machen mir Mut, auf dem richtigen Level unterwegs zu sein. Aber dann! Garagengroße Felsbrocken versperren die Sicht! Also aussteigen und schauen. Ich streike! In diesem unübersichtlichen Steinlabyrinth tiefe Stufen, teils mit überspülten Steinen verblockt und Kehrwässer, von denen ich mir nicht sicher bin, sie jedes Mal zu treffen. Also schultere ich mein Boot und kraxle am Ufer entlang. Eine Kernstelle läge auf dem Abschnitt, wurde uns von bewusstem Paddelguide übermittelt. Das muss sie sein! Danach wird´s dann wohl machbarer. Die Kernstelle wird zur Kernstrecke! Ich kann immer wieder fahren, fast genauso oft steige ich aber aus und entscheide mich für´s Tragen! Jürgen hilft, denn teilweise muss am Ufer über große Felsblöcke geklettert werden. Schließlich trägt er mein oot alleine, damit wir nicht zu viel Zeit verlieren und wer mich kennt weiß: das gibt´s eigentlich nie! Denn mein Boot und ich haben eine Abmachung:“ Ich trag Dich und Du trägst mich!“ Mein Boot trägt mich trotzdem! Trotz extremem mentalen Stress (denn der Magama ist nicht nur schwierig, sondern bildet auch so gut wie keine ruhigen Abschnitte, nur ein paar Pools, das war´s) klappen die Durchfahrten einigermaßen gut, Stückchen für Stückchen tasten wir uns durch die Schlucht. In der Mitte der Strecke rücken die Felswände näher und ragen steil bis in den Himmel, doch ich habe nur einen SEHR kurzen Blick für landschaftliche Schönheit. Der ganze Fluss liegt voller großer, kleinerer und riesiger Steinbrocken, die alle irgendwann einmal von diesen Wänden gestürzt sind. Es tauchen Stellen auf, die selbst Jürgen umträgt: quer liegende Baumstämme, die mitten in einer steilen Durchfahrt stecken zum Beispiel. Dann ein paar hübsche Stellen, die gut gelingen, anschließend ein Stecker meinerseits, der zu einer kleinen Sinnkrise führt. Trotzdem geht´s natürlich weiter, denn hier bleiben können wir nicht! Jürgen guided mich zum Glück mit viel Ruhe immer weiter durch die Schikanen, doch mein Kampfgeist kommt inzwischen ziemlich auf dem Zahnfleisch daher. Jetzt ist dann gut! Irgendwann am Ufer ein verwunderter Kacha, der sich kaum erklären kann, wie man für sieben Kilometer gar so lange brauchen kann. Als Demonstration darf er gleich eine kleine Karambolage beobachten, danach hat er keine Fragen mehr. Auf dem letzten Kilometer dann endlich das versprochene etwas ruhigere Stück zum Erholen! Geschafft! Immerhin ohne jede Kenterung! Wie so oft war es vermutlich zum größten Teil der Kopf, der den Stress bereitete und nicht die reale Gegebenheit. Kleine Zusatzinfo für Kenner: der Magana ist ein nahezu durchgehender Dreier mit etlichen Vierer-Stellen, die ich meist, aber nicht immer umtragen habe. Plus zwei oder drei unfahrbare Passagen. An dieser Stelle nochmal Dank an meinen Helden und Gorilla, der die Schlucht umsichtig, ruhig und mit unfassbar viel Geduld (und manchmal Muskelkraft) mit mir bewältigt hat.

Willst was dazu sagen? Jürgen: „Mir wurde schnell klar, dass die heutige Tour zu einem Abenteuer werden könnte. Ein paar Insiderinfos: Der Bach selbst führt ca. 10-12m³ Wasser und ist damit an den meisten Stellen gut und berechenbar fahrbar. An den Engstellen wird es dann schon recht heftig. Hier geilt es eine saubere Linie zu fahren und im richtigen Moment den Boofschlag zu setzen! Aufgrund der engen Schlucht und des steilen Gefälles muss viel ausgestiegen und eingesehen werden. Für Laila war das die erste Fahrt auf solch ausgesetzten und unbekannten Gebiet. Nicht zu wissen was nach er nächsten Biegung kommt und wie es weitergeht hat sie schon gestresst. Dennoch ist sie viele Abschnitte sauber und schön gepaddelt. Um ihr mehr Sicherheit zu geben bin ich viele Abschnitte zum scouten und auf Sichtweite vorausgepaddelt. Je nach Schwierigkeit ist mir Laila dann auf meiner Linie gefolgt oder wir haben ihr Boot am Ufer umtragen. Für mich war es eine sehr schöne, spannende und auch sehr anstrengende Tour in einer unbeschreiblich tollen Landschaft. Laila konnte die Tour denke ich erst Stunden später genießen.“ Laila: Stimmt, was für ein tolles Abenteuer! Unser Fahrer parkt am Flussufer und begrüßt uns mit Licht, Hupe und Freudenschreien. Zumindest unsere beiden Betreuer hatten einen schönen Tag! Würde ich´s nochmal machen? Jein. Bin froh, es bewältigt zu haben und im Nachhinein auch zufrieden mit meiner Leistung, denn die von mir gefahrenen Stellen klappten alle gut und ich habe auch oft meine eigenen Linien gefunden, davon abgesehen kann man diese tolle Schlucht komplett tatsächlich nur vom Boot aus erleben, aber zumindest dieses Jahr werde ich den Magana nicht mehr fahren (und auch nichts vergleichbares!)! Wir werden mit Cola empfangen, Kacha und Kumpel hatten offensichtlich auch schon ein stärkeres Getränk. Alles verladen (wie gehabt) und los geht`s. „Georgian music“, erklärt unser Fahrer stolz und zeigt auf seine Musikanlage, auf deren Bildschirm auch gleich das passende Video dazu läuft. Uns ist´s recht! Doch als Kacha unser Fuhrwerk anhalten lässt, um Khaki für uns von einem Baum zu holen, wechselt unser Fahrer (um uns einen Gefallen zu tun?) die Musik: deutsche Apres-Ski-Hits! Er ist sichtlich stolz, Jürgen schluckt hörbar und so donnern wir die Buckelpiste zur Straße zurück. Zwischendurch gibt´s dann noch Rammstein (die scheinen uns zu verfolgen), dann taucht am Straßenrand eine Polzeikontrolle auf. Wir erinnern uns kurz: Kofferraum nur mit Schnürchen vom Kofferrauminsassen verschlossen, ungesicherte Boote im Auto, zwei Leute gestapelt auf dem Rücksitz, keiner angeschnallt, dafür der Fahrer mit deutlicher Bierfahne (hier gilt 0 Promille) und beim Video gucken. Jürgen und ich sind gespannt. Unser Fahrer nicht. Stoisch und völlig selbstverständlich passiert er die Kontrolle, während sich die Polizisten nicht einmal umschauen. Man staunt schon wieder! Endlich landen wir ziemlich erschöpft auf dem Campingplatz und haben uns die leckeren Teigfladen (Chatschapuri heißen die mit Käse, Kabduri die mit Fleisch) redlich verdient! Bedient werden wir heute vom Chef des Platzes, was Kacha und Kumpels nutzen, um zum Feiern nach Dschwari abzudüsen.

Gestärkt wollen wir die beiden Stunden bis Mestia noch fahren und haben so Gelegenheit, von oben in den tobenden Inguri zu schauen. Und plötzlich wirkt der Magana beinahe harmlos! Breit, mächtig und mit viel Druck wälzen sich graue Wassermassen zu Tal, zwischen zwei hausgroßen Felsblöcken verschwindet das Wasser tosend und schäumend in einem grandiosen Siphon: eine Todesfalle! Nach meinem spannenden Tag ist mir nun aber eher nach Beschaulichkeit zumute und bald bekomme ich diese auch geliefert: unser Ziel Mestia liegt auf 1400 Meter in Swanetien und nicht mehr sehr weit von der russischen Grenze entfernt. Auf unserem Weg dorthin bewegen wir uns also immer höher in eine von kunterbunten, herbstbelaubten Bäumen überzogenen Bergwelt, hin und wieder unterbrochen durch enge Schluchten mit steil aufragenden Wänden. Als wir Mestia erreichen, ist es dunkel, doch wir sind uns sicher, dass das Tageslicht uns hier morgen ebenfalls einen Indian Summer präsentieren wird. Mir steht der Sinn erstmal nach Wandern und Umgebung entdecken, das Boot kann hier gerne auf dem Autodach bleiben! Unser neuer Campingplatz-Besitzer ist ein sehr freundlicher, gemütlicher, älterer Herr, der auf seinem Platz auch ein Gästehaus stehen hat. Ob wir nicht lieber hier übernachten wollen? Ist ganz schön kalt in den Bergen, zumindest nachts geht´s auf nahezu 0 Grad runter! Ich sage zu allem ja und bald sitzen wir mit Miron (so heißt er) in seiner Gaststube und lernen auch seine Frau kennen. „Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“, kann sie zitieren. Man staunt schon, was die Leute sich so alles merken! Beide sprechen ein bisschen deutsch (in der Schule gelernt) und bald wissen wir unter anderem, dass Miron ein Buchautor ist, der unter anderem eine Biographie über Mikheil Khergiani, ( genannt „Tiger of rocks“) einen wohl sehr bekannten Bergsteiger aus dem Ort und Verwandtschaft von Miron geschrieben hat. Stolz wird diese vorgeführt – in mehreren Sprachen und immerhin einer Auflage von 100.000 Exemplaren erschienen. Am Ende des Abends sind wir im Besitz einer englischsprachigen Ausgabe mit Autogramm. Warum auch nicht? Mal schauen, was über das swanetische Gebirge so geschrieben wird, allerdings wird heute nicht mehr drin gelesen. Viel zu müde nach dem langen Tag…
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