
Wurde hier eigentlich schon mal erwähnt, dass man unserem Hausherrn kaum entkommt, wenn er sich für etwas begeistert? Ein wirklich sympathischer, ruhiger, älterer Herr, aber mit der Mission, seinen Gästen möglichst viel Gutes und Schönes zu vermitteln. Heute Morgen ist´s Yoga. Er beherrscht die Sache selbst sehr gut, an seiner Körperspannung ist nichts auszusetzen. Jürgen und ich versuchen, mitzuhalten. An manchen Stellen klappt´s, an anderen nicht. Schließlich werden wir dann doch entlassen: „Exercise finished!“ Aber mit der Aussicht, morgen eine neue Lektion zu lernen. Wir lassen die Boote heute auf dem Autodach und schauen uns das Ratscha-Gebiet zu Fuß an. Aber wohin? Noch weiter flussaufwärts gibt´s einen Gletscher und der sehr schwierige Oberlauf des Rioni (Level bis fünf und etwas mehr) könnte auch besichtigt werden. Wir steuern zuerst den Gletscher an. Allerdings wird die Straße schnell sehr schlecht, vor uns wird gerade ein steckengebliebener Kleinwagen angeschoben. Das wagen wir lieber nicht. Außerdem nähern wir uns hier der Grenze zu Südossetien, das von Russland kontrolliert wird und darum als Reiseregion nicht ratsam ist. Nika hat uns schon Schauergeschichten erzählt von Bauern, die auf der Suche nach ihren Kühen in diese Region gerieten und einer davon nicht mehr lebendig zurückkam. Das ist uns zu heiß, wir halten Abstand und schauen uns den Gletscher nur von Ferne an.

Dann also der Rioni! Während wir an seinem Ufer über Stock und Stein klettern und ich mit leisem Gruseln in die für mich niemals befahrbaren Fluten schaue, macht Jürgen tatsächlich mögliche Linien aus. Darum kommt nun also der Flussexperte zu Wort! Mein erster Eindruck: Wie klein wir Menschen im Vergleich zu dieser großartigen und gewaltigen Natur sind. Der Rioni und seine unzähligen Zuflüsse sind im Oktober zwar immer noch eindrucksvolle Wildbäche aber von ihrer wahren Gewalt in der Schmelz- und Regenzeit zeugen die zigfach breiteren, nun trockenen Flussbette. In diesen Mondlandschaften schieben die Urgewalten Jahr für Jahr riesige Felsmassen und ganze Bäume zu Tal. Im ganzen Tal arbeiten an den Ufern Bauarbeiter mit schweren Maschinen und versuchen die Uferbereiche der Straßen vor der nächsten Schmelze abzusichern. Zurück zum Paddeln.

Zum aktuellen Zeitpunkt hat der Bach im Oberlauf zu wenig Wasser um sauber darauf paddeln zu können. Zu oft würde man von zu engen Durchfahrten gestoppt. Mit 4-5m³ mehr Wasser wäre eine Befahrung in einer kleinen, gut abgestimmten Gruppe aber sicher machbar. Im Frühjahr ist der Bach aber eine andere Nummer und aus meiner Sicht nur ganz wenigen Paddlern vorbehalten. Zurück an Laila: Okay – Jürgen hatte sein Highlight, jetzt kommt meins! Am Flussufer im nassen Schlamm ein Pfotenabdruck. Ein sehr großer vorderer Fußballen mit fünf Zehen und sehr deutlich in den Untergrund eingegrabenen Krallen! Ganz eindeutig: ein Bär! Kurzer Vergleich mit Bärenfährten auf Google: eindeutig! Unsere Blicke schweifen die bewaldeten Berghänge hinauf – ab hier wird´s wirklich abgeschieden, meilenweit georgische und vor allem russische Einsamkeit, wie es Bären mögen. Das Tier selbst zeigt sich uns allerdings nicht. Dafür finden wir etwas weiter noch mehr Fußabdrücke im Sand, wo der Bär anscheinend entlangtrottete. Der Abend steht dann auch völlig im Zeichen des Bären. Nika zückt gleich sein Handy und zeigt uns Fotos eines Bären, der auf zwei Beinen am Waldrand zu ihm herüberschaut und sich dann trollt. So würde mir das auch gefallen. Es geht aber auch aufregender! Neu sind hier heute: eine Neuseeländerin, die sich für etwa zehn Tage einen Guide aus der Ratscha-Region gebucht und besagter Guide selbst. Dieser Guide hat einiges zu erzählen und zeigt ebenfalls Bilder, auf denen er selbst mit einem Bären auf Tuchfühlung ist, den er wohl hier in den Wäldern antraf. Der Bursche ist höchst unterhaltsam, redet wie ein Wasserfall, hält sich selbst für Superman, kann sehr witzig schauspielern und einige seiner Geschichten erinnern stark an Anglerlatein. Die Neuseeländerin geht etwas früher zu Bett. Ich verstehe: der Guide macht Spaß, aber mehrere Tage mit ihm unterwegs zu sein kann vermutlich sehr, sehr anstrengend sein!
Kommentar schreiben