
Der Tag startet entspannt: Frühstück mit Blick über die Dächer von Safranbolu und gemütliches Gondeln Richtung Istanbul im Camper mit der Fortsetzung des Jo Nesbo-Krimis (für´s endgültige Finale war die Fahrt zu kurz). Schon lange vor der eigentlichen City von Isanbul wechselt unsere Kulisse, die Häuser werden immer höher und zahlreicher, prächtige Moscheen, komplett verspiegelte Bürotürme und ein Hochhaus-Meer bis zum Horizont lösen Meer und Wald ab. Wir kennen es schon von der Herfahrt, beeindruckt sind wir trotzdem wieder! Istanbul ist in den letzten fünfzig Jahren übrigens unglaublich gewachsen. In den 60er Jahren noch eine 2,5-Millionen-Stadt, sind es heute 15 Millionen Einwohner. Die Stadtregierung hat nach wie vor alle Hände voll zu tun, das wuchernde Wachstum der Stadt einigermaßen im Griff zu behalten und hat zum Beispiel in den letzten Jahren viel Geld für eine verbesserte Verkehrs-Infrastruktur ausgegeben. Das von unserem Vermieter aus Safranbolu (Abdullah) gebuchte Hotel liegt direkt an der Altstadt, keinen halben Kilometer zum Beispiel von der Hagia Sophia entfernt. Ideal, denn man kann alles ohne Auto oder zeitfressendes In-die-Stadt-pendeln erledigen! Allerdings muss man erstmal hinkommen. Wir erinnern uns kurz: zwei Kajaks auf dem Dach misst das Gefährt etwa 2,50m. Erscheint uns erstmal nicht problematisch. Auch das völlig unübersichtliche Straßensystem verstopft mit Autos macht uns keine Angst – wir haben ja Google, das uns sicher ans Ziel navigieren wird! Tut es – aaaber: aus welchen Gründen auch immer reagiert es fern der Heimat derartig langsam, dass man schon zwei Kreuzungen weiter ist, bis es reagiert. Hier aber ist kein Platz für „langsam“ und warten, bis sich das kapriziöse Gerät neu ausgerichtet hat. Um uns tobt der Verkehr. Anhalten am Straßenrand? Welcher Straßenrand? Hier ist alles in Bewegung! Also korrigieren, weiterfahren (notfalls mit Umweg) und versuchen – ganz altmodisch – den Schildern Richtung Avrasya- Tunnel zu folgen, denn den Weg von Asien zurück nach Europa nehmen wir unter dem Bosporus hindurch.

Und siehe da – es klappt! Schwupps geht´s unter die Erde, nein, unter Wasser und nach wenigen Kilometern (wieder schwupps) tauchen wir auf unserem Heimatkontinent wieder auf! So weit, so gut. Doch jetzt geht´s erst richtig los! Denn: wir erinnern uns – das Hotel liegt am Rande der Altstadt! Die Gassen sind eng und werden noch enger, alles voller Menschen, Einbahnstraßen tauchen auf oder – schlimmer – Straßen, die keine Einbahnstraßen sind, aber genauso breit und völlig zugeparkt! Und dann: eine Fußgängerbrücke, einmeterachtzig hoch! Da passen wir kaum ohne Boote drunter durch und einen anderen Weg hat Google nicht zu bieten. Wir halten, rufen im Hotel an. Kein Problem! Abdullahs Kumpel ist gut gelaunt und schickt den „Stuff“. Der kommt auch zügig und kennt einen Alternativ-Weg. Wir zeigen auf das Sackgassen-Schild. Er winkt ab. Da ging´s immer durch. Na gut, er kennt sich aus und wir fahren. Bis zum toten Ende der Gasse. Hier geht´s nicht weiter! Der „Stuff“ ist ratlos – hier befand sich früher mal eine Gasse. Nun nicht mehr, inzwischen ist zugebaut. Wer weiß, wie lange er schon nicht mehr hier war! Aber er hat eine neue Idee! Nachdem wir an der ungefähr engsten Stelle des Gässchens umgedreht haben, lotst er uns in verkehrten Richtung durch die Einbahnstraßen zurück auf die Hauptstraße. Langsam bricht uns der Schweiß aus. Aber – man mag fast nicht mehr dran glauben: einige weitere schmale Gassen später stehen wir tatsächlich vor unserem Hotel und – noch ein Wunder! – das Hotelpersonal hat in der völlig zugeparkten Innenstadt einen Parkplatz nahe unserer Unterkunft freigehalten! Und drinnen warten Tee und Buffet (Baklava!) im kleinen Hintergärtchen. Ziemlich schnell sind wir wieder entspannt!

So entspannt, dass wir uns bald wieder ins Gewimmel der Altstadt stürzen. Ja, stimmt: die Blaue Moschee ist unser (fast) direkter Nachbar. Die Hagia Sophia (1400 Jahre alt und einst die größte Kirche der Christenheit) wird ebenfalls besichtigt – allerdings erstmal nur von außen. Morgen haben wir mehr Zeit. Beeindruckende Gebäude – vor allem, wenn man sich vorstellt, mit welchen Mitteln damals gebaut wurde! Hier spürt man vom europäischen November überhaupt nichts – kuschelige 25 Grad hat es am frühen Abend. Und deutlich mehr in den Hallen des Großen Bazaars, den wir uns anschauen. Dieser Bazaar ist das reinste Labyrinth! Unter Dutzenden von Kuppeln (über die James Bond 2012 in „Skyfall“ hinwegraste) ist es überhaupt kein Problem sich auf 32.000 Quadratmetern Gängen, Säulen und Läden zu verlaufen. Wir flanieren eine Weile und erstehen einen Gürtel (Jürgen) und ein Halstuch (ich), wobei wir natürlich nicht vergessen, dass man hier handeln muss wie ein Teppichhändler. Trotzdem merken wir schnell: im Prinzip gibt´s hier immer das gleiche zu kaufen: Teegeschirr, Keramik, Tücher und Stoffe, Lederwaren, nachgemachte Markenartikel, das heißt: man hat recht schnell alles gesehen. Wir haben Glück, finden tatsächlich einen Ausgang aus dem Labyrinth und stehen kurz darauf auf einem ganz anderen Bazaar: dem Gewürzbazaar. Und hier geht´s zu, wie auf dem Hamburger Fischmarkt. Es gibt ALLES! Holz- und Blechwaren, Keramik, Haushaltswaren, billiges Spielzeug und jede Menge Essen. Die Händler preisen ihre Waren unter lautem Geschrei an. Wer möchte, kann probieren: Baklava, Lokum (aus dicken Brocken herausgeschnitten und in allen Farben), eingelegtes Gemüse, Weinblätter, Tee, Kaffee, Gewürze, Käse in allen Formen, Fisch.

Wir wissen kaum, wohin wir bei unserer Wanderung durch zahllose, enge Gässchen zuerst schauen sollen. Hier gefällt´s mir viel besser! Und ebenfalls wirklich schön ist später unser Rückweg ins Hotel durch die immer noch sehr lebhafte Altstadt zwischen den zahlreichen Lokalen mit Außen-Sitzplätzen, Musikern, den bunt beleuchteten Springbrunnen und illuminiert noch majestätischer wirkenden Gebäuden am Sultanahmet-Platz… (Ach ja: ein weiteres kleines Drama am Rande – und ebenfalls mit Happy End! Wer kennt nicht Jürgens geliebte, blauen Wollpullover? Jeder vermutlich, denn ohne ihn ist mein Ehemann nur ein halber Mensch! Just dieser Pulli wurde heute morgen in der Unterkunft in Safranbolu vergessen – vermutlich hinter einen Stuhl gerutscht. Bemerkt wurde das Unglück aber erst 390 Kilometer später in Istanbul. Es war ein ziemlich trauriger Moment und eigentlich hatte Jürgen das Lieblingsstück schon abgeschrieben, als uns das Pärchen einfiel, mir dem wir gestern Abend gegessen hatten. Da er Istanbuler ist, hatten wir die Handynummern wegen eventueller Tipps getauscht. Ob sie noch dort waren? Nein, auch sie waren schon auf der Heimfahrt… kurze Zeit später Entwarnung: Mehmet war nochmal umgekehrt und hatte den Pullover eingesammelt – der Tag war gerettet!)
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