Nein, eine Fahrt auf der Fähre hatten wir für unseren Roadtrip eigentlich nicht eingeplant. Und schon gar nicht vom albanischen Durres ins italienische Ancona. Doch unsere gestern getroffene Entscheidung bleibt: Kurztrip nach Raubling/ Rosenheim. Und das, obwohl unser gestern noch muckendes Auto heute Morgen brav zurück zur Werkstatt gefahren ist und sich auch wieder in den manuellen Gang schalten ließ. Und obwohl unsere Mechaniker-Crew an diesem Vormittag nochmal alles gibt und die „13“ danach immer noch einwandfrei läuft. Und obwohl unser Hauptansprechpartner, dessen für uns putzig klingender Name Blendi Pashuli lautet meint wir könnten es probieren: wir fühlen uns maximal unwohl bei der Vorstellung, nach all den Aufs und Abs einfach in die kaukasische Bergwelt vorzudringen. Selbst Blendi muss zugeben, dass das eher waghalsig klingt und schüttelt bedenklich den Kopf. Bis zurück in die EU muss es aber reichen. Und am besten bis nach Deutschland, hoffen wir. Unsere Mechaniker nehmen übrigens für diesen letzten Tag keinen Cent (und auch keinen Lek). Auch Trinkgeld für dir ganze Mannschaft wird nicht angenommen: „It´s our job!“ und so verabschieden wir uns mit besten Eindrücken der menschlichen Seite Albaniens. Denn von allem anderen haben wir nicht annähernd so viel erleben können wie geplant…
Halt – stimmt nicht ganz!
Während der Wartezeiten hatten wir doch via Leihwagen oder Taxi (Innenstadt Tirana!!!) die Gelegenheit so einiges anzuschauen, das zwar im Vorfeld gar nicht auf dem Plan stand, uns nun aber ganz gut in den Kram passt.
Um Tiranas Altstadt kennenzulernen hier gleich ein heißer Tipp, der auch in etlichen anderen Städten umgesetzt werden kann. Free ride tour nennt sich das Ganze, ist super schnell via Internet zu buchen und beruht auf dem Prinzip, dass Einheimische (oft Geschichts-Studenten o.Ä.) auf unterhaltsame Weise Rundtouren anbieten. Unser sympathischer Guide heißt Eri, spricht feinstes Englisch und hat Einiges zu erzählen. Von Tiranas Geschichte der verschiedenen Besatzungen durch Römer und Osmanen über die kommunistische Zeit nach dem Weltkrieg, über den Nationalhelden Skanderberg bis zu Besonderheiten aus der Architektur. Interessant zum Beispiel, dass der große, mit spiegelnden Fliesen ausgelegte Skanderbergplatz eine stark gewölbte Fläche aufweist. Warum, fragt Eri. Mein schlauer Mann schätzt, damit das Regenwasser ablaufen kann und ist damit schon auf der richtigen Spur: da es im Sommer in Tirana oft sehr heiß ist und auch der Bodenbelag die Hitze stark speichert („People dying in the middle oft the place“ grinst Eri) wird aus zahllosen Düsen Wasser auf den Platz gepumpt, das so besser wieder abfließen kann und für Kühlung sorgt. Ein noch im Bau befindliches Gebäude stellt (wenn man es weiß gut erkennbar) mit der unregelmäßigen Anordnung von Balkonen das Konterfei Skanderbergs dar. Ein weiteres Gebäude wirkt wie eine Bienenwabe. Auch hier: wenn man es weiß, kann man den Umriss Albaniens erkennen.
Nach zwei spannenden Stunden entlässt uns Eri und natürlich bekommt er von uns ein Trinkgeld, auch wenn die Tour offiziell „free“ ist. Was kommt als nächstes? Abgelaufene Kalorien wieder zuführen natürlich. Und weil wir uns für das albanische Menü entscheiden (damit wir auch wirklich von allem probieren können) fällt das Ganze sehr reichlich aus!
Am nächsten Tag zieht´s uns in Tiranas grüne Umgebung (der Leihwagen wird auf Herz und Nieren getestet) und wir sehen eine alte osmanische Brücke, jede Menge Frösche, winzige Dörfchen am
Wegesrand, alte Männlein und Weiblein, die Kühe oder Ziegen zur Weide führen, Esel und Pferde, die Lasten tragen, abenteuerlich beladene Pick Ups, einen Mann, der vor dem Flughafen Wellensittiche
in kleinen Vogelbauern (als Reiseandenken?) verkauft…
Abends folgen wir einem Tipp: in Tiranas Hügeln an einem Stausee soll es ein kleines Restaurant geben. Die Rumpelpiste dorthin ist allerdings so abenteuerlich mit Schlaglöchern, Kiesrampen und
ausgefahrene Rinnen durchsetzt, dass wir zwischendurch wirklich Sorge um den Leihwagen bekommen. Irgendwo steht an einem schmalen Canyon ein Häuschen mit einigen Tischen und Stühlen davor,
allerdings keine Gäste zu sehen. Dafür schlafen in den Bäumen ein Hahn und zwei Hühner mit den Köpfen unter den Flügeln. Ich frage den bestens gelaunten Wirt, ob es etwas zu essen gibt und er
setzt uns gleich an einen der Tische. Handy rausholen, gestikuliert er und gibt uns gleich mal das W-Lan-Passwort. Dazu Kaffee und Raki. Essen? Gibt´s auch. Er drückt uns eine Papiertischdecke in
die Hand und zeigt auf eine weiter unten liegende Ebene mit direkter Sicht auf den Canyon. Schöne Aussicht, nehmen wir.
Was haben wir noch gesehen? Wir besichtigen Bunk-Art 2, einen in einem Vorort liegenden Bunker, der vom kommunistischen Diktator Enver Hoxha in der Zeit des kalten Krieges errichtet wurde. Ein
unglaublicher Komplex mit über hundert Zimmern, der aber nie genutzt wurde und in dem sich jetzt eine Ausstellung über Albaniens kommunistische Geschichte befindet.
Die Läden und Ständchen in diesem Vorort lohnen ebenfalls eine Besichtigung: von aufgestapeltem Obst und Gemüse, feinste Kuchen und Törtchen, Fischtheken und herrlichen Eistheken ist alles dabei.
Ach ja, wer zum Abendessen gerne ein ganzes Schaf grillen möchte: hier sind sie, ausgenommen und gehäutet an den Hinterbeinen aufgehängt. Zwischen all diesen Läden windet sich die steile,
gewundene und enge Straße den Hügel hinauf. Hupend drängen sich Autos zwischen Fußgängern und Slalom fahrenden Mopedfahrern durch. Dazwischen werden von zwei Arbeitern den abenteuerlichen
Kabelkonstruktionen über unseren Köpfen noch neue Kabel hinzugefügt und in regelmäßigen Abständen mischt der blaue Touristenbus, der kaum durch das Sträßchen passt die ganze Szene noch einmal
zusätzlich auf. Kaffee trinken und zuschauen in einem der kleinen Lädchen lohnt auf jeden Fall!
Ganz zuletzt drehen wir noch eine Runde um den Liqeni Artificial i Tiranes, Tiranas Stadtsee und Erholungsgebiet Nummer eins, der mit viel grün und Ruhe und netten Cafes tatsächlich zum
Entspannen einlädt. Wer hätte das gedacht?
Und nun sind wir wieder beim Anfang unserer Geschichte: der Entscheidung, via Fähre nach Ancona und danach nach Raubling zurückzukehren, um von Mercedes Deutschland Leistungen einzufordern,
die uns hoffentlich ermöglichen, von dort aus mit neuer Sicherheit wieder gen Osten zu starten.
Und als das Schiff in Durres mit uns ablegt, das blaue Meer um uns herum, die frisch gebackene Pizza aus dem Profi-Ofen vor uns (ja, das ist eine italienische Fährlinie), da haben wir eigentlich
schon akzeptiert: vielleicht muss in unserem Abenteuer auch einfach eine Fahrt mit der Fähre vorkommen!
Ach ja, Jürgen hätte gerne noch eine kleine Side-Story erwähnt, die die Aufstellung von Mercedes Deutschland und Mercedes Albania verbildlichen soll. Wie schon berichtet war in good old Germany keine Bereitschaft vorhanden, mit den albanischen Kollegen zu telefonieren, obwohl es mit Sicherheit hilfreich gewesen wäre. In Albanien herrscht ein wenig Verwunderung, worauf Jürgen sagt: „Maybe it is because oft the English.“ Worauf unsere Mechaniker große Augen machen und erwidern: „But we speak English!“ „Yes, you do“, antworten wir, „but maybe the Germans don´t!“ An den Gesichtern ist deutlich zu erkennen, dass gerade ein Weltbild zusammen bricht!
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