Auch wenn hier ungewöhnlicherweise die Sonne scheint: nass kann die Salza trotzdem. Und zwar über Nacht. Schon am Abend ist spürbar: die Feuchtigkeit kriecht aus dem Fluss und nebelt alles ein. Gegen 22.00 flüchtet man gerne in den Camper (Heizung – juhuu!). Und morgens stehen auf dem Tisch Pfützen und die Handtücher auf der Leine sind nasser als am Abend zuvor. Aber kein Problem, wir haben es heute nicht eilig und können auf die automatische Sonnentrocknung warten. Denes wartet auch schon und zwar mit Bleistift und Notizblock in der Hand. Die kehrwassertechnischen Einlagen und Erklärungen Jürgens auf der gestrigen Tour haben ihn schwer beeindruckt und er verlangt nach theoretischer Schulung. Ein wenig konsterniert war er wohl doch gewesen, als sein flottes Eindrehen in die Kehrwässer („Like a fish!“ wurde stolz gerufen) nicht den erwarteten Beifall fand. Ganz überzeugt wirkt er noch nicht, verspricht aber, die neue Technik bald auszuprobieren. Außerdem wiederholt er die Einladung in sein Holzhaus am Salzsee in Rumänien und wir hoffen und planen es einzurichten.

Für uns geht´s nun weiter. Wohin? Nach Ungarn natürlich! Dieser Teil der Route war bis vor Kurzem überhaupt nicht geplant und diese Neu-Konfigurierung bringt mit sich, dass weder Jürgen noch ich irgendetwas über Ungarn wissen! Doch: Kollegin Patricia schickte ja tolle Tipps, außerdem ist bekannt, dass das Gebiet am Balaton gerne mal als das Mallorca von Ungarn verschrien war. Ob das stimmt? Wir wollen es herausfinden!
Schon am Grenzübergang fällt uns unser Nicht-Wissen auf die Füße: Wechselstube, steht da. Wieso Wechselstube? Gibt´s hier keinen Euro? Nein, tut es nicht! Schnell wechseln wir Euro in Forint, bevor es noch peinlicher für uns wird. Danach fühlen wir uns bereit für Ungarn. Was fällt uns auf? Winzige, sehr niedliche Örtchen mit kleinen, gepflegten Häuschen. Über den Straßen ziehen sich wie bei uns vor vierzig Jahren die Kabel, aber anders als im Balkan, sehr ordentlich aufgehängt. Dazwischen Wald, riesige Felder, saftig grüne Wiesen. Idylle pur. Spannend zu lesen sind auch die Straßenschilder. Die Ungarn haben anscheinend eine Vorliebe für lange und komplizierte Namen, die mit den vielen Umlauten für uns teilweise fast türkisch klingen. Püspökmolnari, lesen wir. Hosszupereszteg,Karakoszörcsök, Ostffyasszonyfa. Unser erstes Ziel hier heißt, erstaunlich einfach, Sopron. Angeblich wurde Sopron inklusive ausgewähltem Campingplatz ins Navi eingegeben. Noch angeblicher liegt Sopron ziemlich in der Nähe der Grenze. Allerdings liegt die Grenze schon eine ganze Weile hinter uns bis auffällt: Sopron steht gar nicht mehr auf den Verkehrsschildern! Während Jürgen einen Halteplatz sucht google ich schon mal. Stimmt, Sopron ist ziemlich grenznah, aber wir inzwischen nicht mehr. Der eingegebene Campingplatz befindet sich nämlich in der Nähe des Balaton und wir sind auf dem besten Weg dahin. Was auch immer hier verrutscht ist: es wird entschieden (denn die Mägen knurren so langsam) das nähere Ziel anzuvisieren und Sopron somit erstmal hintenan zu stellen.
Am Panoramacamping begrüßt uns Waldemar in bestem deutsch. Stehen können wir wo wir wollen und in 25 Minuten fährt er ein paar andere Gäste zu einem Restaurant in den Weinbergen. Ob wir mitwollen? Kurzer Blickwechsel und: ja! Auf die Frage, was für ein Restaurant das sei: Schulterzucken. Na gut, dann lassen wir uns überraschen. Und so sitzen wir kurze Zeit später mit einem älteren Paar aus Kärnten und einem etwa gleich alten Paar aus Berlin samt Tochter in einem Minibus. Waldemar hat seine Frau auch gleich noch mit eingeladen, die begeistert auf die Sehenswürdigkeiten der Umgebung hinweist, immer nur kurz unterbrochen von Ansagen an ihren Mann („Waldi, Vorsicht!“ „Waldi, da sind Leute!“ „Waldi, dort anhalten!“). Ob er sie darum mitgenommen hat?
Wir bekommen ein paar Tipps für Unternehmungen in die Umgebung und für das Preislimit beim Weinkauf und werden im Weinberg aus dem Auto entlassen. Hier gibt es mehrere kleine Restaurants mit fantastischem Blick ins Tal. Welches davon wir uns aussuchen: egal, Waldi kennt sich nicht aus.
Zu siebt quetschen wir uns an einen Tisch, Jürgen bekommt noch ein Extra-Bänkchen ans Tischende und nun kann das Schmausen beginnen. Es wird ein netter Abend in zufällig zusammengewürfelter Runde, gemeinsam ist aber allen die Liebe fürs individuelle Reisen. Das ältere Paar, sicher schon an die achtzig, hat viel zu erzählen. Besonders interessant: er wuchs in der kärntnerischen Grenzregion zu Slowenien auf und sprach in seinen ersten Jahren einen besonderen slowenischen Dialekt. Dieser Dialekt wurde später als unerwünscht angesehen und die Kinder dazu angehalten, die österreichische Landessprache zu sprechen, weswegen dieser Dialekt inzwischen so gut wie ausgestorben ist. Schade, wie so oft, um ein nationales Kulturgut.
Später werden wir von Waldemar (ohne Frau) wieder eingesammelt und erfahren, warum er so gut deutsch spricht. „Hast du in Deutschland gearbeitet, weil du so gut deutsch sprichst?“ fragt Jürgen. „Ich lebe immer noch in Deutschland, in Augsburg, und eigentlich bin ich Pole.“ So die Antwort. Den Campingplatz in Ungarn bewirtschaftet er von April bis Oktober, ansonsten lebt er in Deutschland. Auswandern wollte er schon immer und versuchte es zuerst mit einem Campingplatz in Italien. Dort allerdings wurde er ausgeraubt, was er als negatives Zeichen wertete und somit Ungarn vorzog. Ungarisch spricht er aber kein Wort. Und das könnte auch eine Erklärung sein, für sein recht planloses Vorgehen bei der Aussetzung von sieben seiner Gäste auf Restaurantsuche in einem Weinberg.
Abends leuchtet ein klarer Sichelmond am Himmel, die Nachtigall singt, irgendwo quaken Frösche und die Bäume am Platz werden von farbwechselnden Lichtern beleuchtet. Warum? fragen wir uns kurz. Ach ja, der Besitzer ist Pole…
Der nächste Morgen startet gleichzeitig geschäftig und gemütlich: nach knapp fünf Wochen steht mal ein Haushaltstag an (na gut, ein halber), denn Waldemar hat gleich zwei Waschmaschinen auf dem Platz stehen, die wir alsbald nutzen. Obendrauf sind die Spülbecken installiert, was das Geschirr abwaschen während des Schleudergangs ein wenig erschwert. Wir sind ohnehin noch nicht soweit und frühstücken erstmal in Ruhe. Unterbrochen von kleinen Abschiedszeremonien unserer Bekanntschaften von gestern Abend. Das ältere Paar hat etwas Interessantes vor: eine organisierte fünfwöchige Wohnmobil-Tour durch Rumänien, Bulgarien und das nördliche Griechenland. Gereist wird autark, Treffpunkte, Campingplätze, Ideen für Besichtigungen an Fahrtagen und geführte Ausflüge per Reisebus werden per WhatsApp versendet. 25 Wohnmobile werden erwartet! Eine gute Idee finde ich für ältere Leute, die immer individuell gereist sind, sich aber nun mit einer gewissen Geführtheit sicherer fühlen. Auch die Berliner verabschieden sich und wir haben noch Gelegenheit, einem prächtigen Smaragdeidechsenpärchen bei ihren Balzritualen zuzuschauen. Beste Frühstücksunterhaltung!
Und danach? Erkunden wir Ungarn mal ein wenig um unsere Wissenslücken wenigstens teilweise zu schließen.
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