Die „Dreizehn“ braust mit uns weiter nach Osten und wir landen am Tisza-tö, dem Theiß-See, der Ungarns zweitgrößter See ist. Allerdings, erfahren wir, handelt es sich hier gar nicht um einen natürlichen See, sondern um einen Stausee, der 1973 zur Regulierung des Theiß-Hochwassers ausgehoben wurde. Er wirkt mit seinen Schilfgürteln, Inseln und Kanälen erstaunlich natürlich und auch die Tierwelt hat ihn bestens angenommen, wie wir bald erfahren werden.
Begrüßt werden wir auf unserem neuen Campingplatz von einem bestens gelaunten Robert, der uns gleich mit allerlei Anekdoten aus seinem Leben unterhält. Auch hier: außer zwei weiteren Personen kein Mensch da. Wir dürfen uns unter den alten Pappeln ausbreiten wo und wie wir wollen. Robert karrt gleich noch Brennholz für ein gemütliches Lagerfeuer heran und bietet für den nächsten Morgen Rührei zum Frühstück an. Wir sagen zu und bekommen gratis dazu eine pantomimische Darstellung des längsten ungarischen Wortes (wer sich erinnert: 44 Buchstaben) wobei ein Pappbecher in der Rolle des heiligen Krals eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Außerdem lernen wir, im Zusammenhang mit den kräftig steigenden Preisen fürs alltägliche Leben in Ungarn und den nicht proportional ansteigenden Löhnen Roberts Lieblingsspruch, den er uns via Computer sofort ins Deutsche übersetzt, damit wir ihn fortan in die Welt hinaustragen:"Wie das Waschbecken, so das Handtuch!" Ist wohl die ungarische Entsprechung zu "Der Fisch stinkt vom Kopf her." Mit solcherlei Unterhaltung vertreiben wir die ersten Stunden des Morgens und die grauen Regenwolken und wie erwartet traut sich gegen Mittag tatsächlich die Sonne hervor.
Kurze Zeit später befinden wir uns auf dem Weg auf die gegenüberliegende Seite des Sees. Hier soll bei einem Campingplatz eine gute Einstiegsstelle für Boote sein und genau die wollen wir heute mal wieder zu Wasser lassen. Google sucht auch diesmal wieder den landschaftlich lohnenswertesten Weg aus. Denn nie und nimmer kann es sich bei dieser Rumpelpiste mit metertiefen Schlaglöchern um eine offizielle Anfahrt zu einem Campingplatz handeln. Das übliche und längst bekannte Szenario im inneren des Wagens wird durchexerziert:“ Wenn es schlimmer wird drehen wir um! Ist doch schon schlimmer! Nein, jetzt geht´s wieder! UUH, was ist das denn??? Das kann nicht klappen!“ Und natürlich wird nicht umgedreht, unsere „13“ schafft alle Schikanen, aber unsere Meinung ist mal wieder bestätigt: Google ist ein Trottel! (Die Fotos übrigens geben den Zustand der Straße nicht annähernd wider und an den wildesten Stellen krallte ich mich ohnehin an den Sitz und der Fahrer ans Lenkrad: keine Hand frei für die Kamera!) Was aber zugegeben werden muss: für das Sightseeing-Erlebnis gibt es fünf Sterne! Unter anderem konnte ein (noch) unbekannter, gescheckter Raubvogel auf Beutejagd beobachtet werden, ein Fasanenpärchen mitten auf dem Weg, ein flüchtender Hase, ein Hirschbock und eine schwimmende Ringelnatter. Also gerne wieder, allerdings lieber zu Fuß. Denn: was entdecken wir, als wir das Seeufer erreichen? Eine asphaltierte Straße, die genau hierher führt, wie erwartet!
Die Kajaks werden zu Wasser gelassen und aus dieser Perspektive wirkt die glatte Wasserfläche nahezu endlos. Weiter hinten die breiten Schilfgürtel mit ihren Durchfahrten für Fischerboote. Und für uns. Schwalben zischen haarscharf über dem Wasser dahin, Kormorane tauchen unter und wieder auf, Reiher starten und landen. Aus den Tiefen des Schilfdickichts sind Frösche und allerlei Vögel zu vernehmen. Dank meiner Ornithologen App (danke für den Tipp, Bettina) lassen sich die meisten davon mühelos bestimmen: Teichrohrsänger, Rohrammer, Schafstelze und Grasmücke sind dabei. Und auch der gescheckte Raubvogel taucht wieder auf, allerdings stumm am Himmel kreisend, so dass meine tolle App in diesem Fall nichts nützt. Inmitten dieser einzigartigen Wasserwelt taucht ein Turm zur Vogelbeobachtung auf, der von uns natürlich sofort geentert wird. Der Blick von oben noch einmal auf andere Weise faszinierend und unseren Rückweg können wir von hier oben auch gleich erkennen. Wer weiß, ob wir aus diesem Schilflabyrinth sonst wieder herausgefunden hätten??? So aber kehren wir zufrieden und hungrig wieder an unseren Ausgangspunkt zurück. Und wo könnte der Tag besser ausklingen, als in einem am Wegesrand entdeckten Restaurant namens „Kormoran“? Hier gibt´s ebenfalls passend „Theißer Fischsuppe“ und endlich (nach fast zwei Wochen Ungarn) das erste Mal ungarisches Gulasch!
Und wer bis hierher mitgelesen und dran geblieben ist wird nun mit der Auflösung des Rätsels um den unbekannten, gescheckten Raubvogel belohnt: es handelt sich um eine Rohrweihe. Wie auch wir beobachten konnten, ist sie gerne auf Jagd nach Kleinsäugern. Außerdem brütet sie auf schwimmenden Nestern im Schilf und ist darum zwingend auf Feuchtgebiete wie dieses angewiesen. In Ungarn findet sie davon glücklicherweise noch genug, in anderen Teilen Europas ist ihr Bestand allerdings stark gefährdet.
Und noch ein Safari-Highlight, allerdings direkt auf unserem Campingplatz: schon am ersten Tag fallen zwei (oder mehr) dottergelbe und sehr laut singende Vöglechen auf. Pirole? fragen wir uns. Pirole! Antwortet das Internet. Charakteristik: wie gesehen dottergelb und der laute, schöne Gesang. Fotoscheu sollen sie auch sein. Halte ich nicht für möglich bei dieser kanalligen Farbe. Und gesehen haben wir sie ja ganz deutlich. Mit dem Tele-Objektiv sicher kein Problem, ein paar hübsche Fotos zu schießen! Denke ich mir so. Jürgen ebenfalls und schleicht für längere Zeit zwischen den hohen Pappeln umher, die Kamera im Anschlag, die Pirole singen lauthals, immer mal wieder flirrt einer durchs Bild, um wieder im dichten Laub zu verschwinden. Die Bilder-Ausbeute ist nicht so zufriedenstellend wie erhofft, aber immerhin sind alle beschäftigt...
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