Heute verlassen wir kurz den chronologischen Ablauf der Geschichte, um übers Wetter zu reden und einige kompetente Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Denn übers Wetter kann ja immer gesprochen werden. Wie ist es in Rumänien zur Zeit? Wir finden: für Mitte Mai ziemlich eisig, auch in den nicht ganz so hoch gelegenen Regionen. Und immer wieder nass. Normal im Land der Vampire? Der Wirt eines (geschlossenen) Lokals („Season only July and August“) berichtet, dass es im Februar schon wärmer war als jetzt. „Not normal“, so sein Kommentar. Und auch Chris, ein Student aus Connecticut, der in kurzen Hosen und Zelt auf dem Schlafplatz in Garda de Sus auftaucht hat das Wetter offensichtlich falsch eingeschätzt. Der Aufseher des Platzes versucht ihn zu einer Nacht im Appartement zu überreden – keine Chance. Er hätte einen guten Schlafsack, ist die Antwort. Wir loben mal wieder die Heizung, denn der Regen pladdert und die Temperaturen sind deutlich einstellig! Immerhin: Chris ist auch am nächsten Morgen noch guter Laune und hängt Socken zum Trocknen über sein Zeltgestänge.
Uns ist es offensichtlich in der sich erfolgreich durch die Wolken kämpfenden Sonne warm genug geworden, um ein eisiges Abenteuer anzugehen: nicht weit von hier befindet sich die Scarisoara-Höhle, die den kompaktesten unterirdischen Gletscher Europas beinhaltet. 75000 Kubikmeter umfasst er und hat eine Dicke von bis zu 26 Metern. Sein Alter wird auf 3500 Jahre geschätzt. Bevor wir allerdings in die Tiefe steigen warnt uns ein großes Plakat vor eventuellen Bärenbegegnungen. Richtig, nicht vergessen, wir befinden uns ja in Rumänien und im Bärenland. Gelesen habe ich, dass die scheuen Gesellen schon bei Witterung eines Menschen das Weite suchen. Nur im Gebiet Brasov sind die Tiere wohl angefüttert, an Menschen gewöhnt, aber überhaupt nicht zahm. Doch dieses Areal befindet sich noch weit östlich von uns. Und mir fällt in diesem Moment ein weiterer Running Gag unserer ersten Auszeit ein. In einem Reiseführer (allerdings den Balkan betreffend) wurde geraten, sich bei Wanderungen auf unwegsames, nicht-ausgeschildertes Gelände und Tierbegegnungen gefasst zu machen. Ein wenig klugscheisserig stand da der Satz: “Bedenken Sie: dies ist nicht das deutsche Mittelgebirge!“ Dieser Satz wurde in jeder passenden und unpassenden Situation wiederholt. Und was wird auf diesem Schild geraten? Alles auf rumänisch (Touristen dürfen anhand von Bildchen raten), aber die Übersetzungs-App hilft. Der wichtigste Tipp? „Ein Bär kann schneller laufen und besser klettern, als der beste Mensch. Lassen Sie sich nicht auf einen Wettbewerb ein!“ Machen wir nicht und steigen die Eisenstufen hinunter. Schnell ist ein eiskalter Hauch zu spüren, der aus der Tiefe aufsteigt. Das Ganze ist tatsächlich ein gewaltiges Loch, das mitten im Wald in der Erde gähnt, zig Dutzend Meter breit. Ganz unten ist der Höhleneingang zu entdecken. Holzstege sind über die Eisfläche gebaut, auf denen der unterirdische Gletscher begangen werden kann. An der Decke glitzern die Eiskristalle und riesige Eiszapfen hängen von der Steindecke herunter. Ob die wohl den Sommer überstehen, oder bilden sie sich in jedem Winter neu? Und obwohl auch draußen nicht gerade Sommertemperaturen herrschen: hier sind wir wirklich in einer eisigen Welt. Am Ende des Stegs ist zu entdecken: hier geht es noch weiter und tiefer. Für uns ist hier aber Schluss, den Rest dürfen wir uns vorstellen.
Nachdem wir nun also ganz tief unten waren, geht´s anschließend hoch hinauf und in die transsilvanischen Wälder. Weitläufig und einsam sind sie, aber im Tageslicht wirkt hier nichts wie das Reich Graf Draculas, sondern idyllisch und lieblich mit den bewaldeten Hügeln und in die Berghänge getupften Bauernhöfe („Allgäu“ schreibt mir jemand als Reaktion auf ein Foto). Keine Bären, dafür verirren wir uns ganz am Ende ein wenig in den steilen Berghängen. Aber kein großes Problem: dank digitaler Anbindung auch in diesem Gebiet finden wir gerade noch rechtzeitig zurück, bevor die sich auftürmenden schwarzen Wolken einen gewaltigen Regenschauer über die transsilvanischen Berge ausschütten. Was nicht heißt, dass an einem Stand am Wegesrand nicht noch kurz hausgemachte Schokolade und Palinca, der lokale Schnaps, gekauft werden kann. („Vorsicht mit dem rumänischen Palinca“, hatte Robert aus Ungarn uns schon vorgewarnt).
Noch mehr Wetter? Zum Frühstück am nächsten Morgen scheint die bestellte Sonne, der Regen kommt erst zur Abfahrt wieder. Da wir heute ohnehin einen Roadtrip-Tag eingeplant haben stellt das Ganze kein Problem dar. Vielmehr haben wir unterwegs vor, ein echtes Problem zu besichtigen. Auf unserer heutigen Route liegt nämlich die rumänische Umweltsünde des Jahrtausends. Und obwohl hier mitnichten Katastrophentourismus betrieben werden soll, wollen wir dieses abschreckende Beispiel aus der kommunistischen Zeit Ceausescus nicht ignorieren. Bis 1970 befand sich hier in einem Talkessel das Dörfchen Geamana mit einer Bevölkerung von rund tausend Menschen. All diese Bewohner wurden umgesiedelt, weil die Regierung das komplette Tal in ein Absetzbecken gigantischen Ausmaßes für die chemischen Abfälle der nahe gelegenen Kupfermiene verwandeln wollte. Der größte Teil des Dorfes liegt nun etwa hundert Meter unter der Oberfläche der giftigen Schlacken, nur die Spitze einer orthodoxen Kirche ist noch zu sehen, da sie auf einem Hügel steht.

Und die Katstrophe ist hier noch nicht zu Ende: der Spiegel des Sees steigt weiter an, das Unternehmen, das die Mine betreibt hat die Genehmigung, den See bis zu einem Spiegel von dreißig Meter über dem Stand von 2019 aufzufüllen. Wir rumpeln mit unserer „13“ über holprige, ausgewaschen Straßen rund um das Seeufer und sind schockiert! Unvorstellbar, was sich uns hier präsentiert. Der „See“ (der keiner ist, darum die Anführungszeichen) leuchtet giftig in den verschiedensten unnatürlichen Farben: rostbraun, rötlich, grau, grünlich… In Schlieren mischen sich die verschiedenen Flüssigkeiten, aus der Tiefe ragen tote Birkenwälder hervor, hier und da ein nicht versunkenes Hausdach. Unter der Straße ein „Fluss“: hier rauscht der Absatz aus der Kupfermine in den Talkessel. Und dann: die Kirchturmspitze! Eine wirklich gruselige Stimmung und es ist unglaublich, dass so etwas erlaubt ist. Und niemand kann plausibel machen, dass die Giftbrühe von hier aus nicht ins Grundwasser gelangt. Ebenfalls erschreckend: im Internet ist zu lesen, dass bei der letzten Volkszählung in Geamana keine Menschen mehr lebten. Ein lost place also, wie jeder nachvollziehen können wird. Aber es stimmt nicht: wir zählen mindestens fünf ganz eindeutig bewohnte Hütten am „Seeufer“. Mitsamt Hund und Kuh im Garten. Gründe, hierbleiben zu wollen gibt es vielleicht. Aber keiner davon kann sich uns erschließen…
An diesem Abend entern wir einen kleinen Campingplatz in Deva. Immer noch Regen. Dieser Platzbesitzer hat für durchfrorene Gäste vorgesorgt: hier gibt´s in einem Häuschen eine Küche, nette Sitzecken und einen Kaminofen, der sofort angeheizt wird. Mit uns im Häuschen ein Mann aus Taiwan, dessen winziges Zelt auf der Wiese steht, der aber das Angebot des Besitzers annahm, auf einem der Sofas im Warmen und Trockenen zu übernachten. Und – was soll ich sagen – mit unseren sieben Monaten Auszeit beeindrucken wir hier irgendwie niemanden. Unser Mitbewohner für diesen Abend startete vor zwei Jahren und acht Monaten mit dem Fahrrad in Alaska, hat unter anderem Japan, Südamerika und einen großen Teil Europas bereist und ein Ende ist lange nicht in Sicht. Und draußen prasselt weiterhin der Regen…
Kommentar schreiben