Und noch ein Städtchen, das sich den guten Herrn Dracula auf die Fahnen schreiben und damit eine gewisse Bekanntheit erreichen möchte. In diesem Falle handelt es sich um ein besonders bezauberndes Städtchen, das auch ohne latenten Grusel genug zu bieten hat. Sighisoara heißt es, liegt mitten in Siebenbürgen (darum haben auch alle Straßen deutsche Untertitel) und will gerne von uns besucht werden. Ein Uber-Taxi zu ordern ist hier allerdings nicht so einfach. Oder besser: nicht möglich. Zu weit für zu wenig Lohn, denken wir uns. Ist halt nicht Sibiu oder Budapest. Und da wir zwar drei Kajaks, aber nur ein Fahrrad auf dem Dach haben (wie auch hier gleich wieder von unterschiedlichen Leuten festgestellt wurde) fällt eine Radeltour ins 13 (!) Kilometer entfernte Mittelalterstädtchen auch aus. Dann eben Camper startklar machen (gut, dass das nie große Umstände macht) und los geht´s! Mehr Umstände macht die verlangte Park-App, aber nachdem auch diese Hürde geschafft ist (und versteckt um die Ecke dann doch ein Parkautomat entdeckt wird) steht dem Vergnügen nichts mehr im Wege. Das Beste? Schwer zu sagen! Aber eindeutig eindrucksvoll ist der wuchtige, 64 Meter hohe und über 700 Jahre alte Stundturm. Warum er so heißt? Bei seiner Erbauung hatte er wirklich nur einen Stundenzeiger. Der Minutenzeiger wurde erst viel später hinzugefügt. Außerdem gibt´s neben dem Ziffernblatt unterschiedliche Figuren zu bestaunen, die zu unterschiedlichen Zeiten, bewegt durch ein Rad, auftauchen und verschwinden, so zum Beispiel der Engel des Tages, der Engel der Nacht oder die Figuren, die zu den Wochentagen gehören. Jede Viertelstunde schlägt ein kleiner Trommler die Zeit. Hübsch sind auch die bunten Häuschen und die gepflasterten Gässchen. Die netten kleinen Cafes und die überdachte Schülertreppe, die mitten im Dörfchen auf einen Hügel mit Kirche und deutschem Friedhof hinaufführt. Mittel hübsch dagegen das doch recht gegenwärtige Merchandising bezüglich Vlad Tepes III Draculea, besser bekannt als das Vorbild zu Bram Stokers Figur Dracula. Angeblich hier geboren und in späteren Jahren in Sighisoara zum Herrscher über Transsilvanien und Ritter des Drachenordens ernannt kann hier sein Geburtshaus, eine Büste, ein Dracula-Restaurant, ein Dracula-Museum und sogar ein Dracula-Escaperoom bestaunt werden! Wie wir erfahren, war vor etwa zwanzig Jahren auf einer der als uraltes Kulturerbe bekannten „Hutwiesen“ sogar ein Dracula-Vergnügungspark geplant gewesen. Hier aber protestierte die Bevölkerung und so kam das Ganze nicht zustande. Dafür können die Touristen sich nun hier mit jedem erdenklichen Dracula-Schnickschnack – vom Shirt über Tassen, Anstecknadeln, Figuren, Flaggen – eindecken. Und wie wir wissen, weilte Dracula, beziehungsweise Vlad der Pfähler (nach seiner beliebtesten Folter- und Hinrichtungsmethode) nicht nur in Sighisoara, sondern besuchte praktischerweise noch etliche weitere Orte und Schlösser. So, als hätte er im Sinne gehabt, dass sich in ferner Zukunft möglichst viele Lokalitäten mit seinem berühmten Namen schmücken mögen. Wir werden ihm wohl noch öfter begegnen. Und um auch wirklich im Bilde zu sein hören wir auf längeren Fahrten durch Transsilvanien Bram Stokers „Dracula“ als Hörbuch. Auch wenn Herr Stoker diesen Landstrich nie betreten hat…
An diesem Abend gibt´s aber keinen Dracula, sondern beste Unterhaltung via Siebenbürgens Fauna auf die Ohren: ein Fuchs bellt heiser, ein Langohreule schuhuht, die Unken geben ein Konzert, die Nachtigall singt und irgendwelche Tiere heulen den Halbmond an. Schakale oder sogar Wölfe könnten dahinterstecken und umgehend reagieren ein paar Hunde aus dem nahen Dorf. Besser kann eine Dracula-Land-Geräuschkulisse eigentlich nicht angelegt sein.
Nächste Station: Brasov. So ergab zumindest der gestrige Planungsvormittag. Immerhin befinden wir uns nun seit drei Wochen in Rumänien und irgendwie haben wir noch nicht genug! Hier stimmt so viel: eine grandiose, beinahe magische Natur, unfassbar freundliche Menschen, spannende Geschichte und Geschichten und die Übernachtungssituation ist mehr als entspannt! Wild campen ist außerhalb der Nationalparks völlig problemlos, die Campingplätze wiederum dicht gesät, immer freundlich, sauber, naturnah und um diese Jahreszeit vor allem: nahezu leer! So gut wie immer gibt´s Waschmaschinen und sogar Trockner, was uns in den drei vergangenen Matsch- und Regenwetterwochen wirklich zugute kam. Wir fühlen uns mehr als entspannt, gut aufgehoben, bestens angekommen und unterhalten in unserem neuen Lieblingsland!
Brasov also. Land der Bären und (wieder mal) Graf Draculas. Hier haben wir einige herzförmige Markierungen auf der Karte gesetzt. Außerdem gibt´s nordöstlich noch ein paar Ziele und dann soll eventuell Moldau angegangen werden, was Jürgen bis vor Kurzem noch nicht mit Begeisterung erfüllte. Dafür konfiguriert er den sagenumwobenen Transfagarasan-Pass aus der Planung. Zu weit westlich, meint er, da müssten wir wieder ein ganzes Stück zurück. Außerdem ist er, dem unbeständigen Wetter geschuldet immer noch für den Verkehr geschlossen, voraussichtlich sogar bis Juli… Alles klar, denke ich, recht hat er. Aber trotzdem schade.
Ob wir in Brasov wohl einen Bären sehen werden? Die Chancen sind, reell betrachtet, nicht sehr hoch, nicht einmal im Bärenland. Hierzu, als Nachtrag, noch eine kleine Geschichte von Denes, der ja Zeit seines Lebens in Rumänien lebte und bis letzten Winter keinem einzigen, zotteligen Exemplar begegnet ist. Und als es endlich so weit war, erkannte er den Bären nicht als solchen. Folgendermaßen trug sich die Geschichte zu: an einem dunklen Winterabend brachte Denes einen Beutel Müll zur Mülltonne und wurde dabei von einer Kuh beobachtet, wobei er sich nichts dachte und nach Entsorgung des Mülls begab er sich seelenruhig zurück in die warme Wohnung. Erst dort begann er sich zu wundern. Eine Kuh mitten im Winter alleine auf der Straße? Flugs kehrte er auf die Straße zurück und … Ihr könnt es Euch denken!
Während Jürgen die „13“ lenkt werfe ich einen Blick auf die google-Karte. „Fagaras“ steht da mitten auf unserer Route. Wie weit dieser Ort wohl vom Fagarasan-Pass entfernt ist? Auf der Karte nur einmal rechts und dann links. Einfach mal schauen? Kurze Absprache in besagtem Ort und im Schatten einer pompösen Kathedrale mit spiegelnd goldenem Dach. Nur gut dreißig Minuten. Also los. Rechts von uns der Fluss Olt, der nach dem heftigen Regen der letzten Wochen über die Ufer getreten und noch nicht wieder ganz zurückgekehrt ist. Links von uns im beinahe unwirklichen Dunst das wuchtige Karpaten-Massiv mit seinen schneebedeckten Gipfeln. Wir durchqueren das Örtchen Oberkerz und ab hier geht es serpentinenförmig durch dicht bewaldete Hänge steil nach oben. Auf großen Tafeln wird in klar verständlicher Bildsymbolik gewarnt: „keine Pizza für die Bären“ ( und zum Leid der Zotteltiere vermutlich auch keine anderen Leckereien). Wie weit die Straße wohl geht? Auf etwa tausend Meter ist Schluss. Hier versperrt eine Schranke den Weg. Im Gegensatz zum Transalpina werden hier Nägel mit Köpfen gemacht. Wir parken also, genehmigen uns erstmal einen Kaffee. Allein sind wir hier nicht, immerhin kann von hier aus, wenn schon nicht gefahren, so doch gewandert werden. Oder mit der Seilbahn gefahren, entdecken wir. Balea Lacu und Balea Cascades heißen die Ziele. See und Wasserfall also. Und da wir ja so gänzlich ungeplant von der Route abgekommen und hier gelandet sind, sind wir natürlich für eine Hoch- und-wieder-runter-Wanderung ein wenig spät dran. Aber die berühmten Fagaras-Sraßen-Schleifen von oben betrachten wäre schon spannend. Wir nehmen also die kleine rote Gondel und können immerhin den Wasserfall schon mal von oben bestaunen. Und dann kommt das sich schlängelnde Band der Straße ins Blickfeld, wie in einer Spielzeuglandschaft windet sie sich durch die alpinen Wiesen. Bei über zweitausend Metern entsteigen wir der Bahn und können nun das ganze Ambiente noch einmal in Ruhe wirken lassen. Tatsächlich ein einmaliges Spektakel und durch den fehlenden Verkehrslärm mangels Autos und dröhnender Motorräder fast ein bisschen mystisch. Genauso verzaubert wirkt der Balea Lacu vor den teilweise noch mit Schnee bedeckten Felswänden. Gleich um die Ecke wartet der Autotunnel, der hier das Bergmassiv durchsticht. Mit einem Eisentor verschlossen wurde doch ein Türchen offen gelassen, durch das neugierige Wanderer ins stockdunkle Innere schlüpfen können. Dieter (vom Grill-Campingplatz – wir haben und angewöhnt, die Plätze nach Ereignissen zu sortieren, um den Überblick nicht zu verlieren) berichtete noch von Schneewehen, über die man das Türchen erreichen musste und von Eiszapfen, die von der Tunneldecke hingen. Doch das war im Februar gewesen, keine Spur mehr von der eisigen Pracht. Trotzdem spannend! Draußen schleicht ein Fuchs übers Gelände und Murmeltiere pfeifen in den Berghängen. Ganz schwäbisch (und weil noch genug Zeit bleibt) sparen wir uns das Ticket für die Tal-Seilbahn und machen uns zu Fuß zuerst über die verlassene Pass-Straße und dann über Almwiesen, am sprudelnden Bächlein entlang und durch düstere Nadelwälder auf den Weg ins Tal. Und dass Brasov an diesem Tag nicht mehr erreicht, sondern spontan ein näherer Schlafplatz angesteuert wird, haben sich die meisten ohnehin schon gedacht…
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Reinhard Wiorkowski (Mittwoch, 04 Juni 2025 18:47)
Hallo Leila u.Juergen, wir genießen eurer "Reisetagebuch" mit grösst möglichem Vergnügen und wünschen euch weiterhin eine glückliche und erlebnisreiche Reise.Habt herzlichen Dank!!.
Wio u.Vlasta
Andrea mit dem orangen Jeep (Dienstag, 17 Juni 2025 12:33)
Der Blick macht's aus - ich war ja auch dort und staune, welche Details mir nicht aufgefallen sind. Sehr schöner Bericht!