Bevor wir also Rumänien den Rücken kehren, nehmen wir auf dem Weg zur moldawischen Grenze noch das Städtchen Iasi mit. Wobei „Städtchen“ untertrieben ist. Ist mit über 270 000 Einwohnern schon was Größeres und in der Vergangenheit waren sogar Ambitionen vorhanden, Rumäniens Hauptstadt zu werden, was bekanntermaßen nicht geklappt hat und in meinen Augen mit einer Lage ganz an den östlichen Rand Rumäniens geklebt auch nicht viel Sinn ergibt. Der Verkehr auf den Straßen allerdings wirkt sehr hauptstadtmäßig. Eine gute Vorübung für Georgien denke ich mir. Am chaotischsten sind die Kreuzungen: so richtig klar ist nie, wer nun eigentlich Vorfahrt hat. Fahrzeuge von allen vier Seiten auf jeweils zwei Spuren verteilt fädeln sich irgendwie ins Zentrum der Schnittstelle, entscheiden teilweise um, fädeln wieder aus, lavieren sich um andere Fahrzeuge herum, das Geschehen im Inneren der Kreuzung ruckelt sich derweil Stück für Stück in verschiedene Richtungen davon. Auffällig: gehupt wird hier nicht, alles läuft in einer gewissen stoischen Ruhe ab, was ja immerhin beruhigend ist. Normaler Betrieb sozusagen. Einen Parkplatz zu finden gestaltet sich im Gegenzug wiederum einigermaßen entspannt und so sind wir bald auf dem Weg, ein Frühstückscafe zu finden. Denn auf dem Rumpel-Campingplatz wollten wir nicht essen, zumal am Morgen ein Traktor mit Pestizid-Spritzanlage sich anschickte, auf angrenzendem Feld an die Arbeit zu gehen. Glück, sollte man sagen, denn sonst wären wir an Iasi wahrscheinlich vorbeigefahren.
Und nachdem wir mal im Innenstadtbereich angekommen sind, ist es wirklich nett bis beeindruckend! Als erstes ins Auge fällt ein riesiges Bauwerk, die Weitwinkelfunktion am Handy fängt es gerade noch ein. Es handelt sich hier um den gigantischen Kulturpalast und eines der größten Gebäude Rumäniens. Über 34 000 Quadratmeter Fläche besitzt er, vier Museen, 298 Räume und alleine 92 Fenster im vorderen Teil des Gebäudes. Der ordentliche und kehrwochengeprägte Schwabe wird sich an dieser Stelle fragen: „Und wer putzt das alles?“ Wir kontrollieren die innere Sauberkeit des Bauwerks nicht, sondern bewundern als nächstes die eigentliche Berühmtheit Iasis: die Kirche der drei Hierarchien. Sieht aus, als wäre die Außenfassade gehäkelt worden, denn dreißig Friese aus feinsten, in den Stein gemeißelten Ornamentmotive liegen übereinander. Das Erstaunliche: keines dieser Muster wiederholt sich und alle scheinen unterschiedliche Traditionen zu vereinen. Man sieht russisches Flechtwerk, persische Arabesken, byzantinische Blattornamente, arabische Sonnenbilder, sowie Motive, die man sonst von türkischen Moscheen oder armenischen und georgischen Kirchen kennt. Obwohl keiner von uns beiden ein passionierter Alte-Steine-Gucker ist: diese Kirche ist tatsächlich etwas Besonderes! Der Kulturteil ist somit abgedeckt und ein Cafe mit Sitzplätzen im Freien ist schnell gefunden, besonders groß ist die Fußgängerzone hier nicht. Dafür sehr hübsch und mit einem wahren Blumenmeer geschmückt. So ein letztes Frühstück in Rumänien muss zelebriert werden, also futtern wir uns mit Avocado-Sandwich, Omelette, frischen Säften und Gebäck unserem neuen Abenteuer entgegen.
Nur zwanzig Kilometer sind es bis zur moldawischen Grenze und hier wird die Kontrolle ernster genommen als seinerzeit zwischen Ungarn und Rumänien. Ist ja auch nicht EU, wenn aber immerhin seit 2023 Beitrittskandidat. Die Zöllner sind freundlich, die Pässe und das Innere der „13“ werden trotzdem genau in Augenschein genommen. „Your first time in Moldova?“ wird gefragt. Und „What do you want to see?“ Wir lassen und mal überraschen! Was fällt als erstes auf? Grün, hügelig, sauber. Überall Kühe, Schafherden, Pferde, Ziegen auf den Wiesen. Hügel erstrecken sich bis zum Horizont. Moldawien riecht nach Kamille und ist schon auf den ersten Blick bezaubernd. Und holprig! Auch die Nebenstraßen sind breit, man kann sich auf dem staubigen Untergrund also eine persönliche Lieblingsroute aussuchen. Die mit den Schlaglöchern, die mit dem weggeschwemmten Asphalt oder den abschüssigen, aber etwas ebeneren Randbereich? Auch hier teilt man sich die Straßen mit Pferdewagen und Landmaschinen aller Art. An einem Automaten wird Geld geholt. Die Währung nennt sich ebenfalls Lei, die handlichen Scheine gefallen uns und dem Innenraum des Geldbeutels aber bedeutend besser als die glitschigen Riesenlappen in Rumänien. Fünf Cent sind ein Euro, umgerechnet wird also auch anders.
Der bald erreichte Campingplatz ist ebenfalls eine Überraschung. Ein riesiges Gelände direkt an der Kante eines steil abfallenden Tals mit gigantischem Blick sowohl dort hinunter als auch über die endlosen Weiten der moldawischen Steppe und unter einem unfassbar großen blau-weißen Himmel. Was für ein Glücksfall! Beim Blick in den Abgrund fällt auf, dass der dort fließende Fluss Raut eine doppelte Schleife bildet um es an der gleichen Seite wieder zu verlassen. In den Kalksteinwänden sind Höhlen und Löcher zu entdecken. Anscheinende wurde Orheiul Vechi, so heißt dieser Ort bei Butuceni, schon in der Steinzeit besiedelt, zeitweise lebten christliche Einsiedler hier und nach Überfällen machten sich auch die Tataren im Tal breit. Vorerst genießen wir den weiten Blick über das Spektakel von hier oben. Und als sich dann auch noch Bienenfresser und ein Fischadler am Himmel zeigen (aber nicht so richtig fotografieren lassen) ist auch Jürgen vollkommen zufrieden!
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