Die letzten Kilometer in Rumänien sind nicht ganz so idyllisch wie man meinen könnte, obwohl uns das Schwarze Meer auf der linken Seite ständig begleitet. Zu sehen sind hier allerdings hauptsächlich: riesige Städte mit viel Industrie (Konstanta!!!), kerzengerade Straßen, die die endlosen Kornfelder durchschneiden, Staub aufwirbelnde Erntefahrzeuge, Verkehr und nochmal Verkehr durch die Außenbezirke der Städte. Noch einmal werden in einem Kaufland (gibt´s hier neben Lidl und Penny in jeder größeren Stadt) Vorräte aufgefüllt und – oh Wunder! – wir finden tatsächlich einen Hornbach! Der einzige Baumarkt, der den Brennstoff Aspen führt! Der wiederum das einzig geeignete Mittel für unseren Benzinbrenner ist! Wer sich an unsere Reise 2019 erinnert: irgendwann ging das Aspen aus und war weder in der Türkei noch in Georgien zu bekommen. Natürlich bedeutete das nicht, dass fortan die Küche kalt bleiben musste, auch normales Benzin kann verwendet werden. Dieses allerdings stank so fürchterlich, dass etliche Tüten und Trockensäcke, in die der Brenner während des Transports gewickelt wurde, nichts nutzten und somit nur seine Weiterfahrt festgebunden auf dem Dach möglich war. Dieses Szenario wollen wir diesmal vermeiden und erstehen darum gleich zwei Kanister der heißen Ware. Zusammen mit dem noch vorhandenen Sprit sollte es nun bis November ausreichen!
Sofort nach dem völlig entspannten Grenzübertritt (keiner da – heißer Tipp übrigens: hier wird das Fahrzeug automatisch desinfiziert: Fenster sollten zu sein!!!) verändert sich die Landschaft nahezu augenblicklich. Kleine Dörfchen, entspanntes Fahren und bezaubernde Lavendelfelder am Wegesrand.
Nahe der Küste treffen wir auf Juri und dessen mitten in der Heide gelegenen Schlafplatz (KEIN Campingplatz, ist ihm wichtig, nur sein eigener Platz und Gäste). Und nun wird´s richtig entspannt und ein bisschen magisch. Nach einem Begrüßungsgetränk zeigt uns Juri stolz seine wunderschöne Heimat. Hoch auf den Klippen stehend können wir über eine wilde und malerische Steilküste blicken und lernen: Bulgarien hat viel mehr zu bieten als die überfüllten Gold- und Sonnenküsten! Hier ist kein Mensch. Doch wir erfahren: an einem Tag im Jahr ist das anders. Und zwar am Festival July Morning. Wie es entstand? Mit Juri, der schon als junger Mann mit seinen Freunden hier an jedem dreißigsten Juni mit Musik in den Juli hinein feierte. Das Event an diesem verzauberten Ort wurde bekannter und irgendwann griff der Bürgermeister eines größeren Nachbarorts (der immer schon Live-Musik-Veranstaltungen initiierte) die Idee auf. Und zwar derart, dass er den damaligen Uriah Heep-Sänger John Lawton darüber informierte, dass im bulgarischen Ort Kamen Brjag ein Festival namens July Morning existiere – ein Festival gleichen Namens wie einer der Hits von Uriah Heep. Der Sänger wollte es zuerst nicht glauben, versprach aber, bei Richtigkeit der Behauptung, jedes Jahr zu kommen und die passende Musik dafür abzuliefern. Und genauso kam es: jedes Jahr zwischen 2004 und 2019 spielte John Lawton hier mit bulgarischen Bands vor einem großen Publikum auf und was für eine Atmosphäre hier auf den Klippen am Rande des Meeres herrschen musste, kann man sich bestens vorstellen! Nach seinem Tod verstreute Johns Familie seine Asche hier über dem Meer. Eine Statue neben der Stelle, an der alljährlich die Bühne aufgebaut wird erinnert heute noch an ihn.
Und damit sind noch nicht alle Besonderheiten dieses Ortes aufgezählt. Nicht weit entfernt brennt ein „Ewiges Feuer“. Natürliches Gas tritt hier aus dem Boden aus und nährt ein Feuer, das nicht verlöscht. Früher ereignete sich das Phänomen wohl ganz vorne an der Klippe, aber da es immer wieder zu Abstürzen durch unvorsichtige Schaulustige kam wurde das Gas inzwischen mittels einer Leitung einige Meter nach hinten verlegt.
Und mal wieder sind wir völlig zufällig an einen besonderen Ort herangestolpert: wer hätte so etwas erwartet? Bei Juri fühlen wir uns herzlich aufgenommen. Im Sommer wohnt er selbst am liebsten auf seinem Platz. Und das kann man bestens nachvollziehen. Immerhin hat er sich hier ein besonderes Refugium geschaffen, indem er seinen Wohnwagen, auf einer Betonplatte stehend, mit Leichtbauweise überbaut hat. Nach vorne ist das Ganze offen und der innere Bereich gemütlich und mit allem Nötigen eingerichtet.
Viele Tipps hat Juri für uns auf Lager und den einen oder anderen werden wir in den nächsten Tagen abarbeiten. Spektakuläre Höhlen und Spalten in den Steilklippen? Könnte nicht besser passen, denn unsere Kajaks brauchen mal wieder Auslauf! Und wer es geschafft hat, sein Boot seinerzeit (2024) in Griechenland in die Tiefen der Voidomatisschlucht hinunterzutragen, sollte auch mit dem hier vorhandenen Abstieg keine Schwierigkeiten haben. Zumal es zwei davon gibt. „Babyweg“, nennt Juri den einfacheren davon, also nehmen wir den. Mit Boot auf der Schulter trotzdem eng und steil, schließlich handelt es sich hier nun mal um eine Steilküste. Und natürlich wird die Herausforderung gemeistert, der Schweiß kommt hauptsächlich von den fünfunddreißig Grad Lufttemperatur (kann sich noch jemand an das Regendesaster im Retezat erinnern?) und das tiefblaue Wasser ist eine wahre Freude! Los geht´s und als die Gischt und die Wellen über die Boote spritzen fühlen wir uns völlig erfrischt! Die Brandung wühlt das Schwarze Meer doch mehr auf als erwartet, die Boote schaukeln ordentlich auf und ab, an den Felsen brechen sich tosend die Wellen, Kormorane beobachten uns von den kahlen Felsen mitten im Wasser und Delfine..? Nein, Delfine sehen wir nicht. Zuweilen sollen sie sich hier allerdings zeigen, wusste Juri zu berichten. Dafür entdecken wir in den hoch in den Himmel ragenden Wänden die versprochenen Spalten und Höhlen. Eine davon so groß, dass wir bequem darin im Kreis fahren können. Stundenlang könnte man hier neue Formationen entdecken, der Wellengang nimmt jedoch merklich zu, weswegen wir nach etwa zwei Stunden entscheiden, in unseren Heimathafen zurückzukehren. Und in diese Richtung, finde zumindest ich, paddelt es sich deutlich unangenehmer. Die Wellen kommen von schräg hinten und mein tapferer Loki wird aus dieser Richtung ständig von der Brandung überholt. Ich gebe Gas, aber natürlich bin ich trotzdem nicht schneller. Also Augen zu (oder besser nicht) und durch! Gut, dass vorher schon genug Zeit für Sightseeing war! Mit ordentlich Karacho und ein wenig Erleichterung scheren wir in unseren Heimathafen ein. Zeit zum Genießen, Schwimmen und Kekse essen bleibt genug. „Hast Du diese Höhlen in den Wänden vorher schon bemerkt?“ frage ich meinen Mann. Hat er. Meint er. Als wir kurz darauf die Boote wieder nach oben tragen, haben wir allerdings den Eindruck, vorher nicht so viel Gestrüpp auf dem Weg gesehen zu haben. Und diese schräge, skurrile Steinplatte da unten am Strand? Des Rätsels Lösung? Die Highspeed-Bootfahrer sind anscheinend bolzgerade an der richtigen Einfahrt vorbeigeschossen und haben die nächste Bucht geentert! Hier geht´s nicht hoch. Also doch nochmal zurück ins Kajak, zweihundert Meter zurück und: tadaa! Da müssen wir doch gleich Juris nächsten Tipp befolgen: das Fischrestaurant Lavazza in Schabla.
Unbedingt die süß-scharfen Squids bestellen, wurde geraten. Und wer sind wir, dass wir auf solche Ratschläge nicht hören! Und während wir uns das leckere Essen auf der überdachten Terrasse schmecken lassen können wir draußen ein Marienkäfer-Massenschlüpfen beobachten! Alles voll mit den kleinen Krabbeltieren, in Trauben kleben im Außenbereich an sämtlichen Tischdecken und Lampen. Ein bis dato nicht gesehenes Phänomen!
Der nächste Morgen startet gemütlich, Juri (ein begeisterter Motorradfahrer) weiß Einiges von seinen Touren zu erzählen. Über Marokko hören wir besonders viel Spannendes. Und es könnte sein, dass gerade hier und gerade an diesem Ort die Idee für eine (möglicherweise) nächste Auszeit geboren wird. Was auch immer daraus werden mag: immerhin existiert seit Kurzem eine neue WhatsApp-Gruppe namens „Auszeit 2030/31"…
Was wir sonst noch lernen? Steinkäuze jagen nicht nur nachts. Zumindest nicht dieser auf der Heide von Kamen Bryag. Das kompakte Tierchen mit den langen Beinen und dem wütenden Blick gibt sich mehrfach im hellen Sonnenschein die Ehre.
Irgendwann machen wir uns trotzdem auf den Weg den nächsten Tipp zu befolgen: durch ein Erdloch am Rande der Steilküste kann via Leiter in den Untergrund gestiegen werden. Zumindest fühlt es sich so an. Ein sehr luftiger Untergrund allerdings, denn die vom Meer in den Kalkstein gewaschenen Höheln sind nach vorne offen und haben mehrere „Zimmer“ zu bieten, die ineinander übergehen. Wie eine Puppenstube oder ein Kinderfilm mit Querschnittsaufnamen aus dem Maulwurfbau wirkt das Ganze von einer Klippe aus betrachtet. Hier unten lernen wir George und seine Freundin kennen und sind sofort im Gespräch über verschiedene Reiseziele. Zack, werden die Nummern getauscht, um sich auch in Zukunft gegenseitig mit Tipps versorgen zu könne. Erstaunlich, wie vertraut sich solche Reisebekanntschaften oft gleich anfühlen, wenn dieselbe Leidenschaft geteilt wird…
Eine kurze Wanderung führt uns zum Steintor, das inmitten weitere Steinformationen unterhalb der Felsenküste aus dem Meer ragt. Hier kann geklettert und gebadet werden und hinterher parken wir unsere „13“ hoch auf den Klippen, nur wenige hundert Meter vom Ewigen Feuer und John Lawton entfernt.
Denn heute Nacht bewohnen wir einen Schlafplatz der Extraklasse. Und sind völlig perplex, dass niemand es uns gleich tut. Ein paar Kilometer weiter, Nähe Schabla nämlich, konnten wir etliche Wohnmobile wild an der Küste parkend beobachten. Ob es ihnen hier allen zu ausgesetzt ist? Gut für uns. So können wir in Ruhe unseren (inzwischen traditionellen) schwäbischen Osteuropa-Kartoffelsalat zubereiten und haben trotzdem Unterhaltung. Neben dem einmalig grandiosen Blick über die wilde Küstenlandschaft gibt´s einige hundert Meter weiter hinten Hochzeitsfotografie zu beobachten. Majestätisch wird auf der ins Meer ragenden Steilklippe in Brautkleid und Anzug geschritten, geknutscht, gefilmt und fotografieret. Schönes Ambiente haben sie sich auf jeden Fall ausgesucht. Ein SUPler in fortgeschrittenem Alter paddelt die Küste unter uns entlang und singt lauthals. Könnte es ihm und uns besser gehen?
Kleine Unglücksstory am Rande und warum wir nun doch einen Umweg über Bulgariens Innenland fahren
Natürlich soll dieses ganze herrliche Szenario mit der Drohne festgehalten werden. Zwecks anderer herrlicher Perspektive und so. Die Drohne wird also weit übers Meer gejagt und hier passieren plötzlich zwei Dinge gleichzeitig: Jürgen hat den Eindruck, das Gerät nicht mehr richtig steuern zu können, was erst einmal nicht schlimm ist. Später erfahren wir übrigens, dass an dieser Stelle vermutlich (militärische) Störsignale ausgesendet werden, die die Verbindung unterbrechen. Wie gesagt, nicht dramatisch solcherlei Widrigkeiten sind in der Regel in den Griff zu bekommen. Was aber nun passiert gleicht einem Film: eine Traube Mauersegler, die sich in ihrem Revier gestört fühlen, bilden in Sekundenschnelle einen Wirbel um unsere Drohne und greifen an! Durch die unterbrochene Verbindung ist es Jürgen nicht möglich, aus dem Bereich herauszufliegen und dann geht es unfassbar schnell! Die Drohne sinkt und sinkt, möglicherweise wurde ein Propeller durch eine Kollision mit einem Vogel beschädigt und ehe ich noch richtig Luft holen kann, verschwindet unser „unbemanntes Luftfahrzeug“ mit einem Aufspritzen in den Wellen. Und mit ihm der fantastische „Maulwurf-unter-der-Erde“-Film vom Mittag. Wir starren schweigend in die blauen Fluten, starren uns völlig perplex an. Sekundenlanges Schweigen. „Was war das?“ fragt einer. Ja, was war das? Und reisen wir ohne Drohne weiter? Die Antwort darauf folgt weiter unten in diesem Theater. Zuerst einmal wird ein wenig recherchiert, eine Nacht darüber geschlafen, um fünf Uhr (!) der Sonnenaufgang bewundert, noch ein bisschen geschlafen und dann: eine neue Drohne zu Kontakten in Georgien oder die Türkei zu schicken funktioniert nicht (Zoll usw). Aaaaaber: in Plowdiw könnte eine gekauft werden. Sogar ohne den ganzen Begleitschnickschnack (den wir ja noch haben). Machen oder nicht machen? Machen! entscheiden wir. Wer weiß, wofür es gut ist. Und nach Frühstück mit der schönsten Aussicht der Welt (ein Wassertank-LKW kommt vorbei, um John zu schrubben) fahren wir nochmal bei Juri vorbei (vielleicht gibt´s ein Wiedersehen in Marokko 2030/31?.)
Anschließend geht´s an Lavendel- und Sonnenblumenfeldern vorbei zum Kap Kaliakra (Bulgariens östlichsten Punkt). Und später erleben wir in Obsor das Kontrastprogramm zu den vergangenen Tagen. Denn hier, an Bulgariens etabliertem Sonnenstrand gibt´s Pauschal- und Massentourismus der Extraklasse. Inklusive Strandliegen in Reih und Glied, Schwimmtieren an jeder Ecke, Musikbeschallung quer über den Strand, beleuchteten Pferdekutschen, röhrenden Mopeds und Buden, Buden, Buden. Mit allem, was kein Mensch braucht! Man muss es gesehen haben, aber ein Abend reicht, da sind wir uns einig. Und Juris letzten Tipp, ein gemütliches Kneipchen am Straßenrand, haben wir unterwegs schon abgehakt.
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