Uns ein Frühstück zuzubereiten lässt sich der junge Camping-Chef vom Lavendel-Platz nicht nehmen. Oder besser: für uns zubereiten lassen. Denn nachdem er seinen Onkel/ Stiefvater/ was auch immer telefonisch zugeschaltet hat, um Missverständnisse erst gar nicht aufkommen zu lassen, wird mit dem dreirädrigen Straßenvehikel flugs die Mama eingefahren. Ab nun wird´s geschäftig in der Küche und kurz darauf biegt sich der Tisch auf der Flussterrasse (Tischdecke wurde extra hervorgekramt) unter Gemüseteller/ Schafskäse mit Paprika, allerlei Brotaufstrich, Oliven und – neue kulinarische Entdeckung! - frisch ausgebackenen knusprigen Pisi. Eine Art Krapfen mit Käse. Trotz der Sprachbarriere (wenn der Onkel/ Stiefvater/ was auch immer fehlt, ist das Englisch nur SEHR rudimentär. Unser türkisch aber auch!) findet noch eine nette Unterhaltung mit der Mama und deren inzwischen eingetroffener Schwester/ Cousine/ Nichte/ was auch immer statt, dann machen wir uns auf den Weg, denn die nächsten Tage haben wir ein paar mehr Fahrkilometer als gewöhnlich auf dem Plan. Die Türkei ist groß! Und es gibt viel zu entdecken! Plan für heute: wir verlassen Europa. Das zweite Mal im Leben wird der Bosporus überquert und der Kontinent gewechselt! Wer erinnert sich an 2019? Kerstin bestimmt! Damals gab es für mich (die noch niemals zuvor Europa verlassen hatte) auf einer Postkarte das Zitat: „Wenn ich nur einen Schritt weiter gehe, bin ich weiter von zu Hause weg, als jemals zuvor in meinem Leben!“ Woher es stammt? Von Hobbit Merry aus „Herr der Ringe“. An diesem Übergang passt es diesmal noch nicht, aber an der armenischen Grenze kann der Spruch gerne wiederholt werden. Trotzdem sind wir nicht an derselben Stelle wie 2019. Aus verkehrstechnischen Gründen wählten wir diesmal die nördlichste Bosporus- Brücke, die Yavuz Sultan Selim Köprüsü. Und in der Ferne ist Istanbuls Skyline auch von hier zu erblicken! Eine weitere imposante Brücke gilt es an diesem Tag noch zu überqueren. Die Osmangazi Köprüsü überspannt den östlichen Arm des Marmara-Meeres, gilt als die viertlängste Brücke der Welt und erspart den Verkehrsteilnehmern an dieser Stelle satte hundert Kilometer! Und dann verabschieden wir uns erstmal vom Meer, kurven auf engen Serpentinenstraßen durch winzige Dörfchen und landen auf knappen tausend Höhenmetern in einem Buchenwaldgebiet nahe einem vermutlich völlig unbekannten Örtchen namens Ayvazpinar.
Hier wurde mitten im türkischen Buchenwald liebevollst ein Campingplatz errichtet. Zwischen den hohen Bäumen finden wir einen Platz und sind unversehens Statisten in einem Werbefilm! Der Verwalter des Platzes steht mit Filmteam vor uns und fragt, ob wir bereit für einen Auftritt wären. Vorbereitungszeit (Geraffel beiseite räumen, Crocs gegen seriöses Schuhwerk tauschen) scheint nicht nötig, denn schon geht es los! Anscheinend wird es ein romantischer Werbefilm, denn Jürgen und ich haben Hand in Hand zwischen den Bäumen zu flanieren (dass wir uns über die Richtung kurz uneinig sind stört nicht) oder Kopf-an-Schulter-gelehnt ins Tal zu blicken. „I love Ayvaz-Camping!“ darf ich noch sagen und schon bekommen wir die Bewertung:“You are awesom!“ und sind höchst gespannt auf das Ergebnis in ein paar Wochen. Vielleicht schlummern hier ja ungeahnte Talente? Auch sonst geht´s sehr bollywood-mäßig romantisch zu, denn mit Einsetzen der Dunkelheit werden kunterbunte Lichter angeschaltet, die den ganzen Wald illuminieren!
Bevor es am nächsten Tag weitergeht, machen wir noch Bekanntschaft mit „Domas“ aus Nürnberg, wie er sich uns vorstellt und seinem Offroad-Landrover. Seit dreieinhalb Jahren ist er in (fast) allen Ländern unterwegs, die er mit seinen vier Rädern erreichen konnte. Und hat einige nette Reisegeschichten auf Lager. Unter anderem von einer nur handbreit tiefen von ihm zu durchquerenden Furt, die plötzlich doch nicht mehr handbreit tief war! Und er, weil darauf nicht vorbereitet, dadurch (laienhaft ausgedrückt wegen fehlendem Pfropfen) erst einmal einen Motorschaden reparieren lassen durfte.
Trotz interessanter Unterhaltung brechen wir irgendwann auf und gondeln nun auf der anderen Seite der grünen Hügel wieder hinunter. Hier landen wir in einem Aprikosen- und Pfirsichhain, der sich die Höhen hinunter und buchstäblich bis zum Horizont erstreckt. Feld an Feld, es nimmt kein Ende. Inklusive überladener Obstlastwagen. Zwischendurch sorgt Google mal wieder für eine seiner immer willkommenen Überraschungen, indem es uns durch ein Dörflein lenkt, das so eng ist, dass wir uns an einigen Stellen nicht sicher sind, ob wir nicht gleich eine Hausecke oder eine Dachrinne mitnehmen. Inklusive 180-Grad-Kurven und schätzungsweise fünfzehn Prozent Gefälle. Am Dorfbrunnen sitzen fünf alte Weiblein und vergessen vor lauter Verwunderung zu grüßen. Man kann es ihnen nicht übelnehmen. Neue Pfirsichhaine tauchen auf und natürlich kann an einigen Straßenständen eingekauft werden. Was ich auch gleich mache. Allerdings gibt´s nur Pfirsiche (und ein paar Birnen) und unsere Essenskisten sind zwar nicht leer, aber für zwei abwechslungsreiche Abendessen wäre ein Laden nicht schlecht. Und an dieser Stelle verabschieden wir uns von den großen Einkaufszentren am Stadtrand, wie sie in Rumänien und Bulgarien massenweise vorhanden sind und freuen uns über Dutzende von Tekel-Kiosken (Chips und Getränke in rauen Mengen) und Mini-Lädchen in nicht überschaubarer Zahl, die zwar von Google angezeigt werden, aber schon beim Anklicken oft überhaupt kein Laden sind. Sondern ein Steinbruch. Oder ein Lastwagen ?!? Oder (und diesen Google-Tipp haben wir leider ausprobiert) mitten im chaotischen Eskisehir liegen, ohne Parkplätze, türkische Verkehrsteilnehmer parken munter in zweiter Reihe und verstopfen die ohnehin engen Straßen noch mehr. Dazwischen Mopeds, die geliebten dreirädrigen Gefährte, Fußgänger. Wir flüchten und hoffen auf die Oma mit Tomatenstand am Wegesrand. Und obwohl die tollen Obst- und Gemüsebasare an den Landstraßen meist eine hervorragende Möglichkeit sind: heute haben wir Pech. Wahrscheinlich befinden wir uns wirklich so weit ab vom Schuss wie es uns vorkommt. Dafür durchfahren wir nun eine hügelige Steppe, die sich scheinbar bis zum Ende der Welt erstreckt. Grünes Buschwerk hie und da und anscheinend lebt die Region von ihren Steinbrüchen. Und von allem, was aus diesem Material hergestellt werden kann. Keramik, Arbeitsplatten, Baumaterial! Verkaufsgelände noch und nöcher tauchen am Straßenrand auf, staubende LKW, beladen mit Gestein überall. Was nicht auftaucht, ist eine Möglichkeit, etwas anderes als Keramikfliesen oder Pflastersteine einzukaufen. Nicht schlimm, entscheiden wir, Grundnahrungsmittel (und Pfirsiche!) sind noch zur Genüge vorhanden! Daraus lässt sich etwas basteln. Kurz vor unserem heutigen Stopp durchqueren wir das kleine Dörfchen Kaymaz. Laut Google gibt´s hier NICHTS. Keinen Laden, kein Restaurant, lediglich ein paar Häuschen. Wir glauben es, bis wir auf dem Dorfplatz ankommen. Ja, das Örtchen besitzt tatsächlich nur etwa siebzehn Häuser. Drei davon sind Kneipchen, vor denen die obligatorischen mittelalten und alten Männer mit ihrem ebenfalls obligatorischen Schwarztee sitzen. Ein weiteres ein Bäcker. Und – siehe da! - ein Lädchen. Kein Kaufland-Sortiment, aber genug, um die nächsten beiden Tage doch einigermaßen abwechslungsreich zu speisen! Knuspriges Brot beim Bäcker bekommen wir auch, nachdem der Ladenbesitzer eigens aus der Kneipe herüber gekommen ist. Weiter geht´s und: plötzlich ragen aus der gelben Steppe unvermittelt Granit-Felszacken in den skurrilsten Formen in die Höhe, als hätte sie versehentlich jemand dort abgestellt! Ein ganzes Band, neben- und hintereinander! Eine Landschaft wie im Wilden Westen! Hier übernachten hauptsächlich Kletterer in ihren Zelten, eine wirkliche Infrastruktur gibt es nicht.
Im Abendlicht stellen wir unsere „13“ mitten in einen Kreis aus rötlichen Felsformationen. Was für ein magischer Ort! Um die Ecke übt eine Gruppe Kletterer mit einem sehr stimmgewaltigen Guide, doch dies tut der Magie keinerlei Abbruch. Über uns kreisen zwei Geier! Sollte uns das beunruhigen? Da es sich um Schmutzgeier handelt, eine kleinere Art, die nicht nur auf Aas spezialisiert ist, nehmen wir es nicht als schlechtes Omen. Im Gegenteil, die Anwesenheit der Vögel sorgt für noch mehr Wildwest-Feeling. Die Orient-Stimmung stellt sich, etwas später am Abend mit dem Ruf des Muezzins aber wieder ein. Und über das Abendessen aus Kartoffeln, Käserührei, türkischen Oliven und Pepperoni kann niemand klagen.
Natürlich muss diese grandiose Felslandschaft erkundet werden und so ziehen wir am nächsten Morgen los. Rund um uns die gelbe, wüstenartige Steppe, vor uns die einzigartigen Felsformationen. Das Wetter überrascht uns. Zumindest ich hatte mir die Türkei im Juli deutlich brutzeliger vorgestellt. Aber durchgehend, vielleicht, weil wir uns auch hier auf guten tausend Höhenmetern befinden, ist die Nacht-Temperatur eher kühl und bestens zum Schlafen geeignet. Tagsüber stellen sich zwar etwa dreißig Grad ein, der frische Wind sorgt aber immer dafür, dass es sich, selbst beim Wandern zwischen den aufgeheizten Steinen, gut aushalten lässt. Wir sind bestätigt: türkische Ziele in den Bergregionen können wir auch um diese Jahreszeit mitnehmen. Die im Süden liegenden Orte kommen dann auf der Rückreise dran.
Aber erst einmal klettern, kraxeln und wandern wir wie zwei winzige Ameisen in der grandiosen Felsenwelt. Das Gestein ist griffig und so können einige Gipfel erklommen und eine mit Felsblöcken gefüllte Klamm erkundet werden! Dazwischen die sich bis zum Horizont erstreckende Wüstensteppe, über uns die Geier! Zurück am Platz haben wir beste Unterhaltung durch die türkische Bergwacht, die an den Felssäulen ihre Übungen durchführt. Diese dienen dem Hauptzweck, den Social-Media-Auftritt der Organisation mit spannendem Bildmaterial zu füllen (wie uns berichtet wird) und das dazu benötigte (?) Funkgerät auf Herz und Nieren intensivst und lautstark zu testen. Auch das tut der Magie des Ortes keinen Abbruch!
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DEAK Such-und Rettungsteam (Sonntag, 06 Juli 2025 21:53)
Danke für das Foto von Deak Search Rescue Team
İsmail (Sonntag, 06 Juli 2025 22:52)
Good job
Umut KUZEY (Montag, 14 Juli 2025 00:36)
DEAK ARAMA KURTARMA EKİBİ olarak teşekkür ederiz