DEAK – so heißt in der Türkei eine Mischung aus THW, Katastrophenschutz und Bergwacht. Und nachdem wir wie berichtet schon am gestrigen Abend Bekanntschaft mit der hochmotivierten Truppe (und ihrem Funkgerät) machen durften, haben wir auch zum Frühstück beste Unterhaltung beim Verfolgen ihrer Manöver. Wichtigstes Utensil: nebst dem erwähnten Funkgerät die Flagge der Organisation! Sie zeigen im Vorbeigehen reges Interesse an uns und unserem Camper und wir erfahren im Gegenzug, dass sie vielfätig im Einsatz sind: bei Erdbeben, Überschwemmungen, Bränden, vermissten oder verletzten Personen, zu Land, zu Berg und zu Wasser. Ruckzuck sind wir Ehrenmitglieder, erhalten einen Aufnäher und kommen mit auf´s Foto. Mitklettern müssen wir nicht und so hupen wir zum Abschied und rollen vom Platz. Hinter uns zurück bleibt nicht nur der Rettungstrupp, sondern auch eine grandiose Felsenregion und herrliche Tage in wilder Natur.

Jetzt heißt es: willkommen in der Staubwüste! Denn Staub begleitet uns auf unserem Weg Richtung Tuz Gölü, einem Salzsee in Zentralanatolien. Es ist eigentlich nicht wahrzunehmen, aber wir befinden uns auf einer gigantischen Hochebene in einer Höhe von über tausend Metern. Links und rechts von uns ziehen die Getreidefelder an uns vorüber, es ist knochentrocken und staubig! Jeder LKW zieht eine Staubfahne hinter sich her, die minutenlang in der Luft hängenbleibt. In den abgeernteten Äckern wirbeln Staubteufel und reißen die verbliebene Spreu in einem Wirbel bis in den Himmel hinauf. Immer wieder rufen wir das Kommando: „Fenster zu!“ bevor sich die Staubwolke durch unser Auto wälzen kann. Überall riesige Höfe, auf die Strohballen wie kleine Städte aufgeschichtet auf ihren Einsatz warten. Vermutlich für die Rinderzucht, denn auch Zuchtbetriebe tauchen am Straßenrand auf. Wir durchqueren die Stadt Kulu und natürlich sind wir mit unseren Booten auf dem Dach ein nicht ganz unauffälliges Fahrzeug. „Ludwigsburg!“ brüllt einer begeistert und mit schwäbischem Dialekt aus einem Fahrzeug mit türkischem Kennzeichen. „Grüß Gott!“ ruft einer bayerisch über die Straße . Ansonsten ist Kulu anscheinend die Stadt der Wassermelonen und der Goldhändler. Beide Verkaufsflächen wechseln sich in schöner Regelmäßigkeit im Innenstadtbereich in der Einkaufsmeile ab: mit Goldschrift und viel Prunk sind die Geschäfte der Schmuckverkäufer nicht zu übersehen, es funkelt, dass einem die Augen tränen, daneben Berge von saftigen Wassermelonen, keine davon unter fünf Kilo. Trotz immer wieder erstaunlicher Kapazität unseres Camping-Kühlschranks: das wird nicht passen! Und nach Kulu beginnt Anatolien erst so richtig! Die Ebenen werden karger, Hirten, auf Eseln sitzend, treiben riesige Schafherden über die Einöde, der von den Tieren aufgewirbelte Staub ist schon aus weiter Ferne zu entdecken. Wenn Anatolien ein Bild wäre, es wäre genau dieses! Am Straßenrand wackeln uns Esel mit ihren langen Ohren zu. Und dann kommt der erste Salzsee. Ein kleiner ist es nur, aber angeschaut werden muss er natürlich trotzdem. Am Rand ist er nahezu ausgetrocknet, das Salz knirscht unter den Crocs, tausende von Vogelspuren sind zu erkennen. Eine kleine Gruppe ungewöhnlich dunkelroter Flamingos steigt in die Luft und sucht das Weite. Die ersten auf unserer Reise! Außerdem Säbelschnäbler und eine Seeschwalbenart mit Namen Lachseeschwalbe, die ihrer Bezeichnung entsprechend mit Hohngelächter über unseren Köpfen ihre Kreise ziehen. Doch wie finden wir nach diesem Vorgeschmack den großen Bruder dazu, den Tuz Gölü? Wieder einmal kommt Google Maps zum Einsatz und wahrscheinlich tue ich der App Unrecht, wenn ich mich schon wieder beschwere, denn zuweilen sind natürlich auch seltsame Einträge von Nutzern das Problem. Wie in diesem Fall. Denn die Straße zum angezeigten „Viewpoint“ präsentiert sich zwar zu Beginn anatolisch-folkloristisch (kleine Dörfchen, staubende Steppen, Schafherden, Esel, Hirten und – Highlight!!!- Ziesel in rauen Mengen), doch je weiter wir zum bewussten Punkt vordringen, umso schlechter wird der Weg. Und es staubt, dass zeitweilig nichts mehr zu sehen ist. Für jedes Ziesel-Foto müssen wir zuerst einmal die Wolke an unserem Auto vorbeiziehen lassen. Irgendwann verschwindet der Weg im trockenen Steppenbewuchs, ein weiterer Weg endet in der Salzwüste vor unüberwindbaren Fahrrinnen. Nichts passt zu den Bildern aus Google Maps. Am nächsten Tag sollen wir übrigens erkennen, dass dieselben Bilder an zwei weiteren „Viewpoints“ am Seeufer auftauchen. Heute jedoch entscheiden wir, die Suche nach dem Salzsee auf morgen zu vertagen und erst einmal das Lager aufzuschlagen. Belohnt werden wir mit Steppenadler, Flamingo, Rostgans und ein paar weiteren (unfassbar niedlichen) Zieseln! Und noch mehr Staub! Ich versuche, einen Teil davon aus unserem Schlafzimmer zu verbannen, während Jürgen das Abendessen brutzelt. Inklusive filmreifem Sonnenuntergang in der Salzwüste und eine Kuppel von Sternen in der Unendlichkeit!
Und wo befindet sich nun der sagenhafte Tuz Gölü? Auf der Karte ist eine nicht näher erklärte Linie direkt durch den See zu entdecken. Brücke? Fähre? Oder ist der See so ausgetrocknet, dass man ihn per Fahrzeug einfach überqueren kann? Wir peilen die Stelle an und – tadaa! – hier befindet sich plötzlich eine Salzfläche bis beinahe zum Horizont, die – nochmal tadaa! – auf einem Damm überquert werden kann! Die helle Fläche gleißt dermaßen, dass es beinahe in den Augen schmerzt. Zu Anfang meinen wir, Wasserflächen zu entdecken, doch wenig später scheinen die in der Ferne liegenden Inseln über dieser Fläche zu schweben und zu wabern. Eine Fata Morgana! Denn obwohl es im südlichen Teil des Tuz Gölü Wasserflächen gibt, trocknet er doch in den Sommermonaten zu großen Teilen aus. Übrig bleibt eine blendend weiße Salzkruste! Der Tuz Gölü ist übrigens nach dem Vansee der zweitgrößte See der Türkei und mit weit über dreißig Prozent Salzgehalt auch einer der salzhaltigsten Seen der Welt. Er hat keinen Abfluss und wird von Grundwasser gespeist. Leider wird aus den zahlreichen Brunnen der Region immens viel Wasser für die Landwirtschaft verbraucht, was 2021 besonders dramatisch zu einem nahezu vollständigen Austrocknen des Sees führte. Die komplette Population der türkischen Rosaflamingos fiel dieser Katastrophe zum Opfer. Ein paar davon sahen wir an diesem Morgen am Himmel flattern und wir drücken die Daumen für eine Wiederansiedlung dieser besonderen Vögel. Sie kommen zur Fortpflanzung aus Afrika und sind auf diese Gewässer mit ihren Salinenkrebsen (rote Farbe!) zwingend angewiesen. Vom hohen Salzgehalt des Wassers können wir uns alsbald überzeugen: auf einem Damm halten wir an und Jürgen kann sogleich feststellen, dass die Salzkruste an dieser Stelle nicht ganz so begehbar ist, wie er es sich vorgestellt hatte. Danke für´s Ausprobieren! Etwas weiter links jedoch präsentiert sich uns eine tragfähige weiße Fläche. Knöcheltiefes Wasser flutet darüber, die heißen, staubigen Füße können also gleich mal eingetaucht werden. Endlos könnte man wahrscheinlich weiterlaufen. Mit Salzkristallen überzogene Steine ragen aus der weißen Unendlichkeit. Probiert wird natürlich auch. Salzig! Mehr Salz kann in Wasser wahrscheinlich nicht gelöst werden! Ich steh und staune! Siebzig Prozent des in der Türkei verbrauchten Salzes kommt übrigens von hier. Einige Produktionsstätten inklusive meterhohen Salzbergen, Förderbändern, Baggern, LKW können wir am Seeufer beobachten. Im Übrigen sind wir der Staubhölle ohne Frühstück entflohen und so machen wir am Straßenrand Halt bei „HAS Döner“. Denn wer in der Türkei ist, sollte das Original probieren. Außerdem haben wir Hunger, noch einen weiten Weg vor uns und das große Lokal für Reisende direkt an der Strecke macht einen guten Eindruck. Wir werden freundlich begrüßt, der ältere Kellner winkt aber sofort im Hintergrund nach jüngerer Belegschaft. Englisch! Sofort tauchen zwei davon mit Salat, Zwiebelringen und Dip auf. Mit Brot? ist die einzige Frage, die gestellt wird, anscheinend sind sie sich ihres Englischs auch nicht so sicher. Dafür super freundlich und flink. Döner kommt also mit knusprigem Brot, ein Extra-Kellner mit türkischem Tee flaniert um unseren Tisch und sorgt dafür, dass das Grundgetränk niemals ausgeht. Wir ordern noch türkischen Kaffee und Ayran und sind hernach bereit für die Weiterreise.
Und nun folgt eins meiner persönlichen Highlights! Wer kennt sie nicht, die Bilder mit den Heißluftballons von Kappadokien in der Morgendämmerung über der skurrilen Tuffsteinlandschaft mit den Feenkaminen und den Höhlenklöstern? Jeder Türkei-Reiseprospekt ist mit entsprechenden Bildern des seit Anfang der Neunziger Jahre im großen Stil aufgezogenen Spektakels dekoriert. Oft liegen Vorstellung, (bearbeitetes?) Bildmaterial und Wirklichkeit weit auseinander. Und außerdem: DER Hotspot der Türkei in der Hauptsaison? Den mutigen gehört die Welt und wenn es ganz furchtbar ist, können wir flüchten und im September wiederkommen. Ich schreibe noch einmal Transfagarasan-Nicole an, deren unglaublich schöne Türkei-Bilder ich auf Instagram inzwischen alle sehnsüchtig gesichtet habe. Sie ist gleich mit Schlafplätzen zur Hand: entweder eher voll, dafür ziehen die Ballons direkt über die Zuschauer, oder etwas ruhiger mit Ballon-Panorama. Wir beginnen mal mit dem ruhigen Platz, steigern kann man sich ja immer! Und ja, Nicole hatte Recht: wir kommen direkt auf „ihrem“ Platz zum Stehen. Mit einem unglaublichen Blick ins Tal mit den Tuffsteingebilden und darin zu entdeckenden Fenstern und Eingängen. Wie eine unwirkliche Märchenwelt! Uns gegenüber: die an den Berg geklebte Stadt Göreme, dahinter Uchisar mit seinem von Fenstern zerlöcherten Bergkegel. Und – wir können es kaum fassen! – es ist Juli und wir sind hier oben mit einem Paar aus Belgien und einem jungen, radelnden (Fast)-Studenten aus Frankreich! Ein paar hundert Meter weiter steht ein orangener Bus, der als Kiosk fungiert. Hierher verirren sich tatsächlich einige von Guides angeführte Reiter. Ein bisschen Tourismus muss sein! Im Tal, rund um die großen Plätze, an denen morgens die Ballons aufgebaut werden allerdings, ist etwas mehr Tourismus vorhanden! Anscheinend werden Quad-Fahrten angeboten und unter Aufwirbelung Tonnen von Staubs wird über die ebenen Flächen gerast! Sicht haben wahrscheinlich nur die ersten drei, die etwa sechzig Nachfolgenden befinden sich in einer Staubwolke! Kurz haben wir die Befürchtung, dass die wilde Horde „unseren“ Berg entern wird, was glücklicherweise nicht passiert. Brav drehen sie unten im Staub ihre Runden. Und nach Beendigung dieses Spektakels kann Sonnenuntergang, (zugegeben ziemlich teures) Getränk vom orangen Bus und später die malerische Beleuchtung von Göreme und Uchisar in Ruhe genossen werden.
Und nun wird die Frage aller Fragen beantwortet. Lohnt sich das Ballonspektakel von Kappadokien wirklich? Um das herauszufinden, sollte der Wecker SEHR früh gestellt werden: 4.30 Uhr ist Pflicht! Beim Erwachen ist schon ein gleichmäßiges Rauschen zu vernehmen, das aus dem kompletten Tal zu uns heraufzieht. Schnell bin ich draußen. Doch in der grauen Dämmerung ist nichts zu sehen. Wo sind die Ballons? Es müsste doch ein Höllenspektakel sein?!? Kein Spektakel, nur das Summen unzähliger Ventilatoren. Aber dann! Wie aus dem Nichts richten sich im ganzen Tal und beinahe gleichzeitig Hüllen von unzähligen Ballons auf (im Schnitt pro Tag 158 Stück mit durchschnittlich zwanzig Insassen an 220 Tagen in Jahr, pro Tag wird somit eine halbe Million Euro erwirtschaftet). Zuerst noch grau wie der Morgen, doch dann zünden die Feuer! Bunt leuchten die Ballons, die Feuer fauchen, die ersten schweben lautlos in den Himmel hinauf! Und mehr und immer mehr! Wie in der Luft aufgehängte Lampions stehen sie direkt vor uns am Himmel! Und nein, es sieht nicht aus, wie in den Prospekten. Es ist großartiger, besser, feierlicher, als ich es mir je hätte vorstellen können! Und nein, es spielt keine Rolle, ob man hier auf der Bergkante steht oder gegenüber, das Spektakel ist von überall aus zu sehen! Und ja, ein paar Zuschauer haben es in der frühen Stunde hier heraufgeschafft, aber nicht allzu viele. Und sprachloses Staunen sorgt dafür, dass die Magie nicht verloren geht! (Und Jürgens Kommentar zu den sich im Morgenlicht aufbauenden Ballonhüllen „Wie Zecken, die sich vollsaugen“ blenden wir einfach aus!). Bald ist der komplette Himmel getupft mit bunten Ballons. Die aufgehende Sonne sorgt mit ihrem immer stärker werdenden Licht für einen sich ständig verändernden Zauber und noch Stunden später schweben einzelne Ballons am Himmel. Aber der größte Moment? Das war der, als die Ballons durch die Feuer erleuchtet wurden und anfingen zu steigen. Fazit also? Erstaunlich wenig Halligalli, kein Problem mit Wildcamping, toller Ausblick auf ein Szenario der Extraklasse! Für mich selbst sage ich sogar: von den Plätzen, die man gesehen haben sollte, bevor man irgendwann mal stirbt, ist das einer! Und was sagt Jürgen? Er ist hin- und hergerissen zwischen Fassungslosigkeit über harmlosen Massentourismus der Superlative, der keinem wehtut und Hoffnung, dass das damit verdiente Geld allen Beteiligten zugutekommt. Die Faszination für diesen super koordinierten Riesenzirkus ist aber vorhanden!
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Bettina (Dienstag, 08 Juli 2025 23:16)
Spektakuläre Bilder � � �� Vielen Dank fürs „mitnehmen“ und weiterhin die Allerbeste Zeit euch beiden �
Yasemin (Mittwoch, 09 Juli 2025 19:06)
Atemberaubende Bilder � eure Berichte werden fleißig mit verfolgt - danke fürs teilen dieser schönen Momente ♥️
Bernd + Helga (Donnerstag, 10 Juli 2025 22:11)
Einfach toll diese Bilder!