Was Roadtrip-Tage so mit sich bringen: ich hege die Erwartung, gemütlich im Auto zu sitzen (meist darf ich ja die Beifahrerin sein und die Landschaft an mir vorbeiziehen zu lassen). Für den Blog gibt es nicht viel zu schreiben, weil: wir haben ja nichts gemacht! Denke ich. Die Praxis? So ähnlich. Aber doch immer voller neuer Eindrücke, die festgehalten werden wollen. Allerdings mit vierzig Grad. Zumindest beim Start. Die malerischen roten Felswände in der Okcular-Schlucht fungieren als Wärmespeicher und geben diese auch großzügig wieder ab. Selbst zur noch einigermaßen frühen Stunde. Und so fotografieren wir nur noch schnell die knallroten Libellen, die grasgrünen Stabheuschrecken, die erdfarbene Gottesanbetterin und die gold-grünen Frösche, die wiederum Jagd auf die knallroten Libellen machen…
Wir folgen dem Verlauf des Flusses eine Weile, schrauben uns dann höher und höher und landen schließlich auf einem Plateau, das atemberaubende Blicke rückwärts in unser Flusstal zulässt mitsamt seinen schroffen Felsen und grünen Hügeln. Ab hier wird´s flach! Aber in knapp zweitausend Meter Höhe und temperaturtechnisch deutlich angenehmer. Die Ausläufer des Kackar-Gebirges lassen grüßen. Und zwar mit dieser gigantischen Hochebene. Bis zum Horizont grün-goldene Ebenen und Felder. So ausgedehnt, dass es kaum möglich ist, Entfernungen zu schätzen. Riesige Kuhherden werden durch diese grandiose Wildwest-Landschaft getrieben, am Straßenrand herrliche Obst- und Gemüsestände mit allem, was Garten und Feld um diese Jahreszeit in der Osttürkei eben so hergeben. Und weiter geht´s über die Ebene, die kein Ende nimmt.
Eine Stunde und länger fahren wir so dahin, neue Kuhherden, Steinadler, Steppenadler und Habichtartige Bussardfamilien (so heißen die wirklich – sagt Hermine: größer als unsere Bussarde und ähnelt eher einem zierlichen Adler) säumen unseren Weg. Und man merkt schon: so ganz „nichts“ passiert auch am Roadtrip-Tag nicht. Zumal wir uns kontinuierlich der georgischen Grenze nähern. Plötzlich wird´s doch wieder hügeliger und grüner und da in der Ferne: das muss schon Georgien sein!
Wir haben, um einen anderen Pfad als beim letzten Mal einzuschlagen, diesmal nicht den Weg über Batumi gewählt, sondern den mittleren, kleineren Grenzübergang bei Türkgözu. Und tatsächlich ist hier nicht allzu viel los, abgesehen von ein paar LKW, die Waren in die Türkei transportieren und darum in Gegenrichtung unterwegs sind. Bei knapp vierzig Grad werden Fahrer und Beifahrer getrennt über die Grenze geschickt (ich durch die klimatisierten Hallen – Glück gehabt!), ansonsten prüft das schwitzende Personal zwar genau, aber ist ganz offensichtlich froh, sich in der Hitze nicht allzu viel bewegen zu müssen. Was auffällt: die Türken haben Kühlung in ihren Arbeitsräumen, die Georgier nicht. Die Außengestaltung unserer „13“ scheint allerdings interessant genug zu sein, um mehrfach und von allen Seiten fotografiert zu werden. Offizielle Gründe oder private Sammlung? Wir erfahren es nicht. Und dann: WELCOME TO GEORGIA! Am Grenzübergang weht die rot-weiße Flagge und hier sind wir wieder! Die kleinen Dörfer, die abenteuerlichen Windungen der am Straßenrand verlegten Gasleitungen, die Kuhherden mitten auf den Straßen, die Schlaglöcher, die gewagten Überholmanöver der Einheimischen, die eisernen Hoftore vor denen das liebe Vieh am Abend wartet, die Straßenhunde – wie gehabt: es ist nach knapp sechs Jahren wie nach Hause kommen! Wer „Blog 2019“ kennt wird sich erinnern, welche Faszination dieses gebeutelte, im Lauf seiner Geschichte nahezu ununterbrochen von allen Seiten überrannte, verrückte und unglaublich gastfreundliche Volk auf uns ausübte! Wie wird die Stimmung sein? Viel hat sich seither getan: 2019 strebte Georgien stark nach Europa, man träumte von einer Mitgliedschaft in der EU, der Tourismus wurde stark ausgebaut – und nun? Eine russlandfreundliche (von großen Teilen des Volks nicht erwünschte) Regierung an der Macht, der Krieg in den Nachbarländern…. All das wird nicht spurlos geblieben sein.
Und während wir also mit großen Augen durch Georgiens Dörfer gondeln, bleibt ein wenig Zeit, eine weitere von Euch gestellte Frage zu klären (Ihr sehr, das ist ein interaktiver Blog): „Wie kommt
Ihr auf die von Euch gepaddelten Flüsse?“ Ehrliche Antwort? Die finden wir einfach am Wegesrand. Wir haben grobe Ziele, sammeln alles auf, was wir so finden und passen die Route ständig nach Lust
und Laune neu an. Die letzten Flüsse sprangen uns von der Straße aus ins Auge. Das Scouting war hier kein Problem, da in den engen Tälern die Straßen direkt am oder oberhalb der Wasserläufe
entlangführten. Im Falle des Euphrat ließ Jürgen die Drohne durch die Schlucht fliegen, da nicht jede Stelle zweifelsfrei eingesehen werden konnte. Berichte aus dem Internet helfen zusätzlich
(lokale Paddler-Communities gibt´s in der Türkei nicht). Im Falle Georgiens haben wir noch das zusätzliche Glück, gute Kontakte zu Misha zu haben, der hier Paddelguide für einen deutschen
Anbieter ist und den wir von 2019 her kennen. Ein steter Quell guter Fluss-Informationen!
Erste Station? Der kleine Ort Atskuri am Ufer des Mtskwari, einer der Hauptströme Georgiens: entspringt in der Türkei, durchfließt unter anderem Tbilisi um dann im Kaspischen Meer zu
verschwinden. „Strictli recommand!“ schreibt Misha. Allerdings nicht hier, sondern bei Wardzia. Behalten wir für den Rückweg im Hinterkopf, denn eigentlich sind wir ja auf dem Weg in den kühlen
Kaukasus. In den Großen wohlgemerkt. Denn im Kleinen befinden wir uns schon und der ist heiß! Trotzdem kommen wir erstmal zwei Tage im bewussten Atskuri auf einem kleinen Campingplatz an und
treffen ein Schweizer Pärchen wieder, das wir schon vom Macka-Camping in der Türkei kennen. Sie sind ein wenig ratlos, denn eigentlich sind sie in ihrem umgebauten ehemaligen Eis-Auto auf dem Weg
nach Kasachstan. Aber wie? Die Einreise nach Aserbaidschan ist per Auto nicht möglich (weswegen auch wir es aus der Tour strichen), über den Iran und Russland möchte man gerade nicht fahren…
inzwischen liebäugeln sie mit Rumänien, was ich ihnen auch gleich wärmstens ans Herz lege! Seit diesem Jahr einer meiner Favoriten! Ansonsten tummeln sich auf der Campingwiese nur eine Hundemama
und drei sehr niedliche Welpen. Im hübsch ausgebauten Gästehaus nichts los. Warum? frage ich Besitzerin Maja. Sie zuckt traurig die Schultern. Vielleicht der Krieg in den benachbarten Ländern und
die Leute haben Angst? Seit zwei Jahren liegt der aufstrebende Tourismus am Boden, meint sie. Schade, ein zauberhafter und ruhiger Ort, schöne Möglichkeiten zum Wandern, Seele baumeln lassen –
und paddeln.Entscheiden wir am nächsten Morgen.
Zu heiß zum Wandern. Und auch wenn Misha meint, der Mtskwari-Abschnitt bei Borjomi hätte im Sommer zu wenig Wasser: geraftet wird auf jeden Fall, stellen wir fest. Und sooo flach sieht das Ganze gar nicht aus! Einige Bäume stehen mit den Füßen im Wasser uns auch die Grassoden im Uferbereich sind teilweise abgetaucht. Vielleicht ein kürzlicher Regen? Wir probieren es mal („Wie findet Ihr Eure Flüsse?“ So!), fahren eine von Misha benannte Rafting-Station an und lassen unsere Kajaks zu Wasser. Große Wellen auf diesem Fluss und schon der erste Schwall sorgt für herrliche Abkühlung! Eine hübsche Strecke mit entspanntem Wildwasser: Felsen zum Kehrwasserfahren, Wellenreiten, Surfen. Alles da! Hin und wieder überholt ein Raft, einige Insassen offensichtlich fleißig dabei, sich für Instagram zu präsentieren: Handy in der ausgestreckten Hand und immer schön darauf achten, vorteilhaft in die Kamera zu schauen. Man wünscht förmlich eine große Welle, die die ganze Inszenierung beendet! Interessant auch: hier gibt´s viele arabische Gäste inklusive voll verschleierter Frauen. Das Raft-Abenteuer lassen sich diese nicht nehmen, allerdings wird auch hier die Kleidungsvorschrift nicht gelockert. Sicherheitstechnisch nicht ganz ohne, finde ich. Immerhin kommen Schwimmwesten obendrüber…
Während ich am Ausstieg auf Jürgen warte, erfahre ich von einem Raftguide auch den Grund für die zweifache Namensgebung des Flusses: Mtkwari und Kura. Kura ist einfach nur die türkische Variante. Auf meinen obligatorischen Stein kommt natürlich die georgische inklusive der wie aus „Der Herr der Ringe“ entsprungen wirkenden georgischen Schriftzeichen.
Und was ist die Hauptattraktion in Georgien? Natürlich die himmlischen Khinkali und Khatchapuri, die wir in einem netten kleinen Restaurant am Straßenrand finden. In diesem Fall wird die große Version der „georgischen Maultaschen“ (jedes Volk hat anscheinend seine Mauldäschle) serviert, was wir erst realisieren, als die zehn bestellten Exemplare plus die georgische Pizza Khatchapuri auf dem Tisch steht. Ein anerkennender Blick des Wirts, als wir tatsächlich mit allem fertig werden. Paddeln macht halt hungrig!
Am nächsten Tag erkunden wir die Umgebung um Bordjomi, das für seinen Nationalpark Bordjomi-Karaghauli und seine Mineralwasser-Schwefelquellen bekannt ist. Eine kleine Runde durch den in der feuchten Wärme angenehmen Naturpark-Wald, ein Blick auf den Rummel in Bordjomi inklusive Riesenrand und prächtige traditionelle Häuser und eine erstaunlich lange Wanderung bergab zu den bewussten Quellen. Ebenfalls erstaunlich: die Bewohner Georgiens haben kein Problem, mit Kind und Kegel diesen steilen Weg hinab- und später wieder hinaufzuspazieren. In der Türkei wäre das nicht passiert. Nachteil: die Schwefelbecken sind voll mit Salto schlagenden Kindern und anderen Georgiern. Wir suchen uns lieber etwas weiter unten im Fluss eine Abkühlmöglichkeit. Ein bisschen Schwefel ist hier bestimmt auch zu finden. Nachteil zwei: bis man wieder oben ist, ist auch der Erfrischungseffekt verpufft. Man hätte unten sogar ein Pferd mieten können. Mit Grüßen an Kollegin Snjezana: wäre es ein Esel gewesen, wäre ich sofort bereit gewesen!
Wir finden einen weiteren netten, sehr leeren und familienbetriebenen Campingplatz: Oma und Opa wohnen den ganzen Sommer hier (im Winter in Tbilisi, wie gefühlt jeder hier – bei 3,6 Millionen Einwohnern insgesamt in Georgien wahrscheinlich auch kein Problem), deren Tochter mit ihren Kindern ist in den Ferien aus Deutschland (Nähe Karlsruhe) gekommen, um mit anzupacken und hat gleich etliche Tipps auf Lager. So sind wir gespannt, wie unsere geradlinige Route sich in sehr naher Zukunft neu anpassen wird! Bevor wir uns aber von unseren eigenen Ideen überraschen lassen erkunden wir noch eine weitere Route im Borjomi-Kharagauili Nationalpark. Und haben im schwül-warmen Wetter mal wieder Glück: die Wanderung führt größtenteils zwar sehr steil dafür wunderbar schattig durch wilden georgischen Urwald, lässt an seiner höchsten Stelle grandiose Aussichten über bewaldete Hügel bis zum Horizont zu, erfrischt hier immerhin mit ordentlich Wind und führt dann wieder durch die Wälder zurück.
Ein idealer Tag, den wir in einem schon gestern besuchten kleinen Restaurant beenden, dessen Terrasse direkt über dem Mtkwari River klebt und dessen Besitzerin zwar kein deutsch spricht, uns jedoch auf sehr lebhafte Art und Weise was auch immer erzählt und uns überschwänglich für unsere guten Entscheidungen bezüglich der Speisekarte lobt. Das schwül-warme Wetter löst sich in diesem Moment in einem krachenden Gewitter auf, was das ganze Ambiente nur noch gemütlicher macht. Und das verdiente Trinkgeld wiederum löst bei der älteren Dame des kleinen Lokals einen weiteren begeisterten Wortschwall und in die Luft gerissene Arme aus. Und obwohl sie schon im Vorfeld die Khatchapuri und das Bier aus der Rechnung gestrichen hatte, drückt sie uns nun noch zwei Wasserflaschen in die Hände. Winkend und lachend flüchten wir aus dem Lokal, denn schon greift sie nach den Bierflaschen.
Kommentar schreiben