Vom kleinen in den großen Kaukasus: auch wenn wir plänetechnisch immer und gerne flexibel sind: dieser Plan bleibt! Denn die niederen und mittleren Höhen Georgiens sind nach wie vor SEHR sommerlich! Allerdings trotzdem anders als im trockenen und staubigen Osten der Türkei: das Schwarze Meer produziert feuchte Luft, die sich um diese Jahreszeit aufheizt und ins Landesinnere wabert. Die Folge? Es fühlt sich an, wir im Tropenhaus der Wilhelma. Der Natur schadet es nicht. Georgien ist sehr grün, zuweilen dschungelig mit Farnen, uralten Baumriesen und Lianen, zuweilen so subtropisch, dass in den Gärten Palmen und Bananenstauden bestens gedeihen. Spannend anzuschauen, auf Dauer für Bewohner der „13“ und des mittleren Klimas trotzdem anstrengend, also folgen wir ausnahmsweise unserem Plan, allerdings wie gewohnt nicht ganz geradlinig. Von Borjomi aus nehmen wir nicht die Autobahn, sondern fahren nach der unglaublich wuseligen Stadt Surami (Samstag = Einkaufstag = „Wir-kaufen ein lebendes-Schaf-und-lassen-es-gleich-am-Straßenrand-schlachten-und-das-Fell-über-die-Ohren-ziehen-Tag“= grandioses Chaos!) auf der nicht ganz uninteressanten Rumpelpiste nach Kharagauli, das zum einen Mit-Namensgeber des Borjomi- Kharagauli-Parks und zum anderen südliche Begrenzung desselben ist. Auf dieser Piste die üblichen Kühe und Schweine, Schlaglöcher, Fahrrinnen und Baustellen, Staub und noch mehr Staub! Dazu hübsche Ausblicke auf dicht bewaldete Hügel. Ein scheinbar kilometerlanger, rostiger Güterzug bewegt sich in Schrittgeschwindigkeit durch die Szene.
Und trotz der Hitze lassen wir es uns nicht nehmen, einen Abstecher zur berühmten Kazchi Säule zu unternehmen. Dieser spektakuläre, vierzig Meter hohe Kalksteinmonolith befindet sich inmitten der Region Imeretien und ist bekannt für das kleine Kloster, das sich auf dessen Spitze befindet. Nur via einer senkrechten Eisenleiter kann dieses Kloster erreicht werden, erlaubt ist dies allerdings nur Mönchen mit Sondergenehmigung, denn der seit den Neunzigern dort oben lebende Vater Maxime Qavtaradze lebt in völliger Abgeschiedenheit und selbst gewählter Isolation. Umso mehr Betrieb ist hier unten, auf dem kleinen Gelände rund um den Monolithen, auf dem sich auch ein Museum und eine kleine Kapelle befinden: gleich zwei Hochzeits-Shootings sind an diesem sonnigen Samstag unterwegs, plus die üblichen Touristen, zu denen wir uns heute auch zählen dürfen. Beeindruckend finde ich das Ganze schon! Und würde gerne wissen, wie so ein knapp Siebzigjähriger aussieht, der seit über dreißig Jahren auf einer Felsnadel hockt. Was sagt Jürgen? Ihn beeindrucken viel nachhaltiger die Japaner, die auf den Besucherparkplätzen die Reifen ihrer Mietwagen kreischen lassen oder wahlweise eine Drohne zur Spitze des Felsens schicken, ohne dass sich jemand daran stört. Und die ersten Deutsch sprechenden Zeitgenossen seit Langem: eine Truppe Wiener in Union Berlin-Shirts…
Wir entscheiden und gegen eine Route über Kutaisi (hier flirrt die Luft!), das gefühlt unumgänglich ist, wenn man den westlichen großen Kaukasus von Süden aus erreichen möchte. Trotzdem finden wir eine Straße über einen Pass namens Nekrala. Ein wenig trauere ich meinem geplanten Friseur-Besuch nach, aber glücklicherweise bin zumindest ich selten mit dem Besen auf meinem Kopf konfrontiert: Spiegel sind zur Zeit rar und die Autoscheibe gibt nicht das komplette Bild wieder. In Mestia müssen die Leute sich bestimmt auch manchmal die Haare schneiden lassen. Unser Plan geht übrigens so lange gut, bis in der einsetzenden Abenddämmerung vor uns ein beginnender Stau auftaucht, ausgelöst durch die Karambolage eines LKW mit einem PKW in einer engen Kurve. Kurz überlegen wir, ob Warten lohnend wäre, allerdings wird uns die Entscheidung gleich darauf von einem glänzend-schwarzen georgischen SUV abgenommen, der versucht, sich ungeduldig durch eine winzige Lücke zwischen LKW und Leitplanke zu quetschen. Es lässt einen grässlichen Knall, der LKW-Fahrer reißt fassungslos die Hände in die Luft und Jürgen das Lenkrad herum. Die Beseitigung dieses Unfalls könnte Stunden dauern. Also doch zurück und durch das unvermeidliche Kutaisi mit seinen gewundenen auf und ab führenden Straßen, ein bisschen wie Lummerland: hoch und runter, hin und her und irgendwann hat man die Orientierung verloren. Friseur? Nö, zu spät und zu warm! Raus aus Kutaisi und rein in die grünen Hügel! Langsam wird´s dunkel und die knurrenden Mägen sorgen nicht für ausgelassene Stimmung. Irgendwo am Wegesrand müssten doch ein paar Khachapuri aufzutreiben sein! Und so ist es auch! In den Innenräumen des Lokals tobt eine große Party, trotzdem werden wir im Garten freundlichst und lokal bewirtet.
Und nun muss Park4Night liefern, wir sind müde! Platz eins und zwei taugen nichts (der obligatorische Straßenrand und ein staubiges Überschwemmungsgebiet), aber – und nun leiste ich Abbitte an die App – Nummer drei ist ein Traum! Was wir in der Dunkelheit zwar noch nicht erkennen können, aber immerhin rauscht ein Bächlein unter uns und es ist ruhig. Ein einziger Camper fünfzig Meter weiter unten. Wir schlafen bestens beim Rauschen des Wassers.

Was offenbart der nächste Morgen? Eine Überraschung - wir checken mal kurz, wo genau wir uns eigentlich befinden und stellen fest: auf einer Felskuppe oberhalb des unbekannten, unaussprechlichen und tief dunkelgrauen (Schiefer!) Zcheniszchali Rivers und nur wenige Meter unterhalb der Okatse River-Mündung und des Endes des gleichnamigen Canyon. Der wiederum uns und einer breiten Masse bekannt ist! 2019 hatten wir ihn auf touristisch gut ausgebauten Pfaden von oben bewundert und nun – der Plan steht sofort -wollen wir ihn von unten besichtigen. „How come, that I don´t recocgnize that place?“ schreibt Paddelguide Misha verwundert (und ein wenig neidisch?) auf unsere Bilder? „Ask your German friends!“ schreibt Jürgen. Denn dieser Platz ist wirklich ein Traum! Das wissen auch etliche Einheimische, die im Laufe des Tages (Sonntag!) hierher pilgern, um in den zahlreichen klaren Pools des Okatse und den schwarzen Wassern des Zschchzs…? zu baden und kreischend Saltos von den Felsen herunter zu schlagen. Stört gar nicht, das Hauptspektakel spielt sich an besagter Mündung ab.
Jürgen und ich klettern über unzählige Felsen, durchwaten, durchtauchen und durchschwimmen die herrlich erfrischenden Pools und sind plötzlich alleine auf der Welt! Mit einigen Fröschen, Libellen, Gänsegeier, Adler und verschiedenen Schlangen. Eine meterlange schwarze Ringelnatter ist Jürgens Highlight des Tages. Und meins? Alles! Besser kann man einen Sommertag nicht verbringen! Und auch der Speisesaal auf der Klippe entspricht ganz meinem Geschmack! Am Morgen kommt Kuh-Besuch am Frühstückstisch vorbei und der Badepool mit eingebauter Dusche und Massagedüse lässt keine Wünsch offen! Fünf Sterne!
Einzig beängstigend die wenig Vertrauen erweckende Brücke, die den Ausgang des Okatse Canyon überspannt und Teil des offiziellen Wanderweges ist: lediglich drei ausrangierte und rostige Eisenbahnschienen wurden über die Klamm gelegt, abgedeckt mit allem, was der Wald so hergab. Äste unterschiedlichen Durchmessers und in verschiedenen Zersetzungsgraden, Holzlatten mit nach oben pieksenden Nägeln, kein Geländer! Wir wollten Abenteuer – wir bekommen Abenteuer!
Go north! Okatse-Canyon Richtung Mestia – wir bewegen uns an der Grenze des abtrünnigen Gebiets Abchasien und am Enguri River entlang und erleben Georgien in a nutshell: die blühenden, subtropisch anmutenden Gärten hinter bunten Metalltoren, grün, grün, grün und feucht die ganze Landschaft und - Tiere überall! Gänse, Schafe und Schweine bevölkern die Straßen und Straßengräben. Meister des Highways eindeutig die Kuh-Gangs, die völlig stoisch mitten im Weg stehen und wiederkäuend liegen, von Autofahrern in Slalom umzirkelt, zucken sie mit keiner Wimper, noch machen sie auch nur einen Schritt beiseite. Sie grasen auf Verkehrsinseln und sind hier scheinbar noch heiliger als in Indien. Misha schickt uns auf den „Footpath of Caucasus“, auf keinen Fall die Hauptroute entlang und so kommen wir in den Genuss , einige Blicke in Georgiens Wildwasserwelt zu werfen: den Abasha, den Tekhuri und den Khobistkali. Allerdings: Sommerpegel. Überall kommt der Kies durch: zu wenig Wasser.
Bis wir den Kobistkhali erreichen. Türkisgrün und tief sieht er von der Straße aus. Ein kleiner Abstecher ins Nebental? Gedacht – getan! Wirkt zuerst doch eher flach, dann jedoch tauchen einige Schluchten auf, der Flusslauf verengt sich, der durchscheinende Kies verschwindet. Sieht nicht sooo aufregend aus. Allerdings weiß ich, dass ich dazu neige, die Schwierigkeiten zu unterschätzen, wenn sie einige Meter unter mir liegen. Von der Wasserlinie aus, präsentieren sich die Katarakte oft anders. Und es ist viel weißes Wasser zu sehen! Wir steigen also erstmal über eine Metalltreppe zum Ausstieg hinunter: eine grillende, georgische Familie bietet uns hoch erfreut warme Maiskolben an. Madloba! Anschließend fahren wir zum Einsteig, entscheiden, dass Jürgen erstmal alleine scoutet, lassen und von einem älteren Herrn den idealen Einstieg zeigen und schon ist Jürgen unterwegs. Schon der erste Katarakt sieht gleichzeitig hakelig und wuchtig aus – gefällt mir nicht! Zack, verschwindet Jürgen auch schon um die Ecke und ich darf die „13“ flussabwärts fahren. Die Rumpelpisten machen als Fahrer übrigens viel mehr Spaß wie als Beifahrer! Wie geht´s dem Mann unterwegs? Der Mann ist froh, dass er alleine paddelt, der Bach entwickelt sich schwieriger als gedacht, viele enge und steile Passagen, die „Lailas kleinem Kajak bestimmt größere Probleme bereitet hätten“. Jürgen selbst hat die Fahrt sehr genossen und war auch endlich mal wieder auf „seinem Niveau“ unterwegs. Und am Ausstieg? Gibt´s neben viel Begeisterung nochmal einen Maiskolben für jeden. Kurz überlegen wir, nach dem Aufladen noch einmal zum Ufer abzusteigen und eine Runde zu baden. Doch das hätte wahrscheinlich eine dritte Ladung Mais nach sich gezogen…
Weiter folgen wir dem Verlauf des mächtigen Enguri. Ein Gletscherbach, der im Sommer seine gewaltigen Massen schmelzenden Eises zu Tal wälzt, unvorstellbare Walzen und Löcher bildet, sich in einen riesigen Stausee ergießt um anschließend oberhalb von Batumi im Schwarzen Meer zu münden.
Auf dem Weg zu einem Essens-Stopp oberhalb des Stausees können wir atemberaubende Blicke ins tiefe Tal des Magana Flusses werfen. Wer erinnert sich an das Drama auf dem Magana 2019? Eigentlich nicht zum Paddeln freigegeben verschafften und einige einflussreiche Lokalpatrioten Zugang zum Fluss, was viel Erstaunen und Neid deutscher Paddeltour-Anbieter nach sich zog, für mich aber nicht unbedingt eine glückliche Fügung darstellte. Denn der Fluss war viel zu schwer und wir benötigten für die sieben Kilometer fast ebenso viel Stunden. Selbst beim Hinunterschauen 2025 kommt wieder Grusel auf. Und so halten wir zwar an bewusstem Campingplatz an, werden vom Besitzer nicht wieder erkannt (die Kajaks parken draußen), stellen fest, dass Schaschlik vom Grill und Khachapuri aus dem Holzofen noch genauso lecker sind wie 2019 und schenken uns eine Wiederholung des Magana-Dramas in der aktuellen Auszeit. Auch eine Übernachtung schenken wir uns, denn abgesehen von Essen und fantastischem Blick lohnt sich der Platz eher nicht (siehe Blog 2019).
Lieber folgen wir dem tobenden Enguri flussaufwärts, biegen an einem Nebenbach namens Nenskra ab (ebenfalls tosendes Gletscherwasser, aber in weiß-grünlich), stellen fest, dass der ausgeschriebene Campingplatz eher für Wanderer gedacht ist (wir wollen die tapfere „13“ nicht noch weiter über steile, enge Rumpelpisten quälen) und landen an einem weiteren Park4Night-Platz, direkt am Flussufer. Schattige Bäume, weitläufige Wiese, rauschendes Wasser und nur ein weiterer Camper – was für ein Traum! In Georgien hat die Übernachtungs-App eine erstaunliche Frequenz! Unsere neuen Nachbarn kommen aus Österreich, bewohnen einen sehr stylischen, selbst ausgebauten Citroen und drehen Filme über die von ihnen bereisten Länder, die auf YouTube angeschaut werden können. Viele uns bekannte Zielorte sind dabei, unter anderem Rumänien. Wir beschließen also, eine weitere Nacht am neuen Traumplatz zu verbringen und uns den ein oder anderen Reisefilm zu gönnen – lohnt sich, gerne anschauen: sucht einfach in YouTube nach „AureliusNina“!
Der Sternenhimmel über uns, der tosende Wildbach neben uns (nein, nicht fahrbar, es sei denn, man möchte sein Material in den rauschenden Fluten loswerden) – besser kann das Schlafzimmerambiente nicht sein!
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