DREIZEHN UNTERWEGS
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Auszeit 2025  ·  18. August 2025

Auf den Spuren von 2019: zurück in Ratcha-Letschchumi

Von der einen durch grandiose Ausblicke geprägte Region in die nächste durch grandiose Ausblicke geprägte Region: wenn man sich im Norden Georgiens am großen Kaukasus entlang bewegt, kann man als Fan grandioser Ausblicke nichts falsch machen. Heute schaffen wir die Fahrt den Zagari-Pass hinunter ohne nennenswerte Zwischenstopps und völlig komfortabel, denn seit wenigen Jahren ist auch dieser Weg nach Ushguli hinauf gut ausgebaut, wenn bei Google auch noch nicht bekannt: hier bewegen wir uns im Nichts. Die durch Erdrutsche teilweise wieder beschädigten Abschnitte blenden wir ebenfalls aus und gedenken des Polen, der 2019 auf dieser damals noch unausgebauten Bergseite mit einem normalen Kombi in einer Ganztagesaktion hinaufrumpelte und sich anschließend wegen seiner durch massiven Stress entstandenen Magengrippe für die nächsten zwei Tage ins Bett legte. Und die fantastischen traditionellen Mahlzeiten im Gästehaus von Ushguli verpasste. Glücklicherweise ist das nicht unser Schicksal: wir kurven ziemlich entspannt in einer fantastischen Bergwelt abwärts und scheren gegen Nachmittag in vertraute Gebiete ein: der Rioni-Fluss taucht mit seinen Kiesbett-Windungen unter uns auf! Herrliche Paddeltage verbrachten wir damals im grünblauen, klaren Wasser im Ratcha-Letschcumi-Gebiet. Grünblau? Diesmal nicht! Denn der Rioni wird teilweise von Gletscherwasser gespeist, von dem wir im Oktober 2019 natürlich nichts mehr mitbekommen hatten. Nun aber strudelt der Fluss in beeindruckenden grau-braun-schwarzen Wellen durchs Tal und ist kaum wiederzuerkennen. Gleichgeblieben (abgesehen von den grünen, nicht buntbelaubten Hängen) ist die wilde, ausgesetzt wirkende Landschaft. Wir kurven auf engen Straßen am Flusstal entlang, passieren immer wieder kleine Örtchen, in denen das Dorfleben in Form von Kühen, Pferden, Hühnern, Menschen aller Generationen und überladenen Fahrzeugen (immer wieder mit auf den Pritschen stehenden und im Fahrtwind winkenden Leuten: eine Art Volkssport) auf der Straße stattfindet. 

Bei einem kleinen Bäcker kaufen wir ein: hier wird das Brot nach traditioneller Weise gebacken. Ein großer Lehmofen befindet sich in der Mitte der Backstube. Er wirkt ein wenig wie ein kalkweißer Brunnen, dessen obere Ränder sich nach innen biegen. Die Innenwände dieses Ofens werden durch Holzbefeuerung zum Glühen gebracht, auf einem großen Tisch befindet sich der vorbereitete Hefeteig, der – zack zack – in passend große Stücke geteilt, geplättet (und gegebenenfalls gefüllt) wird. Wieder zack zack werden diese Fladen an die heißen Innenwände des Ofens gepappt und einige Minuten später köstlich und knusprig mittels eines Spezialhakens wieder abgepflückt. In unserem Fall holt er gerade die lokale Spezialität Lobiani (gefüllt mit Bohnenpaste) heraus, was er uns mittels mangelnder Sprachkenntnisse nicht vermitteln kann. Das übliche Spiel: es gibt halt was es gibt und obwohl wir eigentlich „normales“ Brot fürs Frühstück kaufen wollten, schmecken die Lobiani natürlich trotzdem lecker! Umgerechnet übrigens für zwei Lari pro Stück, was umgerechnet weniger als siebzig Cent sind. Wo wir schon einmal bei der Futterbeschaffung sind: zwar von außen kaum als Restaurant erkennbar, dafür hinten mit Balkon und Terrasse umso hübscher, entern wir noch schnell ein kleines Lokal am Fluss, speisen köstliche Forelle und rumpeln einige Zeit später auf einen bekannten Schlafplatz ebenfalls am Fluss, wenn auch an einem anderen. Der Rioni hat zahlreiche Nebenbäche, die, so klein sie auch sein mögen, jedes Mal mit einem nicht zu übersehenden Schild gekennzeichnet sind. Je unscheinbarer der Fluss, desto länger sein Name, so scheint es. Abgesehen davon rumpeln wir auch nicht wirklich zum Schlafplatz: auch hier wurde das Zugangssträßchen zwischenzeitlich asphaltiert und wäre der gewaltige über den Weg hängende Fels nicht gewesen, so hätten wir die Stelle vielleicht gar nicht wiedererkannt. Georgiens Bautrupps waren fleißig in den letzten sechs Jahren! Trotz der neuen Infrastruktur ist die Nacht ruhig, abgesehen von zwei Autos, die spät am Abend mit aufgeblendeten Scheinwerfern den Platz entern und (nachdem sie uns gewahr wurden?) wieder abzogen. Enttäuscht angesichts der fehlenden Einsamkeit? Wir wissen es nicht.

Bevor wir uns am nächsten Tag auf den Weg zu Nika, seinem traditionellen Gästehaus in Oni und den leckeren georgischen Köstlichkeiten aufmachen, statten wir dem Rioni einen kleinen Besuch ab. Die Strecke durch die Klamm zwischen Sori und Ambrolauri hat es Jürgen angetan. Er möchte Probe fahren, ist sein Plan, und mich gegebenenfalls danach zu einer zweiten Tour mitnehmen. Ich lache herzlich, schließlich kann ich mich an seinen Bericht bezüglich der Herausforderungen des Abschnitts bestens erinnern und mit dem nun vorhandenen Gletscherwasser werden sich die Schwierigkeiten nicht verringert haben. Wir suchen ein bisschen hin und her, bis ein guter Einstieg gefunden ist, winken uns zum Abschied zu und schon an der ersten Brücke wenige Kilometer weiter halte ich an, um ein paar Fotos zu schießen. Jürgen zeigt den Daumen nach unten: kein Abschnitt für mich – keine Überraschung! Also fahre ich zum malerischen Ausstieg. Neben einer schmalen Autobrücke spannt sich eine sehr hübsche metallene Fußgängerbrücke oberhalb einer engen Klamm über den Rioni: ein hübscher Fotospot. Sagen sich auch etliche Vorbeifahrende (oder eigens deshalb Hergekommene). Während ich auf Jürgen warte, kann ich die einzelnen Gruppen beobachten (15. August: Feiertag in Georgien!), die sich auf der Brücke positionieren, teilweise von lauter BumBum-Musik aus ihren Autos begleitet, um sich bestmöglich in Szene zu setzen. Ist das Bild geknipst geht´s zurück in die Fahrzeuge, Stille legt sich über die beschauliche Schlucht, bis der nächste euphorische Trupp anrückt. Und wie groß ist erst die Freude, als am Horizont auch noch ein unerwarteter Kanute in buntem Boot auftaucht! Sofort wird das Fotomotiv gewechselt und niemand weiß, auf wie vielen Instagram-Profilen mein Mann nun zu sehen ist. Was ich sehe: die letzte Durchfahrt zwischen zwei Felsen hindurch lässt den Mann ordentlich am Paddel ziehen. Keine leichte Stelle! Jürgen hatte Spaß, aber: nichts für mich! Es werden sich andere Touren finden!

Heute aber genießen wir den Rioni auf andere Weise: Badespaß in der Klamm, Springen von den Felsen, Treiben auf den Wellen! Ein perfekter Tagesausklang, bevor wir uns auf den Weg nach Oni machen. 

Nika erwartet uns schon und hat einige Neuigkeiten parat: inzwischen hat er geheiratet, seine Frau ist schwanger und weilt derzeit in Tbilisi, denn der Geburtstermin steht in wenigen Wochen bevor. In Oni gibt es kein Krankenhaus und nicht wirklich einen Arzt, darum scheint diese Entscheidung das Beste. Nika derweil muss das Gästehaus weiterführen, fährt nach Möglichkeit einmal pro Woche die drei Fahrstunden nach Tbilisi, zur Versorgung der Schwangeren wiederum ist Nikas Mutter ebenfalls dort. Ein Nachteil des Lebens im Paradies. Denn wie ein Paradies wirkt das Anwesen zweifellos. Sobald das Hoftor sich hinter uns schließt, befinden wir uns auf einem Refugium wunderschön restaurierter oder traditionell neu gebauter Gebäude zwischen Weinreben und Obstbäumen, Gemüsegärten, Lauben mit Sitzgelegenheiten. Gleich führt Nika uns den neu gebauten Weinkeller vor, die ersten Kostproben werden verteilt und genau obendrüber ist ein neues Gästezimmer mit den traditionellen Schnitzereien entstanden (Nikas Vater ist Holzschnitzkünstler und unterrichtet dies auch an einer Berufsschule), welches wir beziehen dürfen. Hier satteln wir für die nächsten vier Tage ab: ein bisschen Luxus bringt keinen um! In der mit traditionellen Möbeln ausgestatteten Stube wird kurz darauf das Abendessen serviert: ein absolutes Highlight! Etliche kleine Schüsseln mit den verschiedensten lokalen Spezialitäten, eine köstlicher als die andere! Die beiden Küchendamen haben den Laden, trotz des Fehlens von  Nikas Mutter (der unbestreitbaren Chefin) voll im Griff! Alles ist so lecker wie eh und je!

Zwei junge und viel gereiste Südafrikanerinnen sitzen mit im Raum und sind ebenfalls völlig beeindruckt von Georgiens Land, Leuten und Traditionen. Eigentlich haben sie im Gästehaus nur einen kleinen Zwischenstopp eingelegt, denn sie sind auf dem Weg zum „Rainbow-Festival“ ein paar Dörfchen weiter, irgendwo in den Ratcha-Bergen. Nie gehört?!? Anscheinend handelt es sich um eine Veranstaltung, die seit vielen Jahren immer wieder in allen Teilen der Welt stattfindet, eine Art Hippie-Event, bei dem es um Frieden und Liebe und was eben alles dazugehört, gehen soll. Da sie hinterher noch einmal bei Nika absteigen wollen, sind wir gespannt auf ihre Berichte. Nun folgt: der spannende Ritt auf dem Rioni! Teilnehmer: die komplette Besatzung der „13“! Level: die App behauptet zwei bis drei, aber wir wissen: die georgischen Angaben untertreiben gerne ein bisschen.  Austragungsort: der Abschnitt unterhalb von Alpana. Jenem Alpana, das auch schon 2019 für eine spannende Geschichte sorgte (siehe entsprechender Blog-Eintrag)! Im hellen Sonnenlicht erkennen wir es kaum wieder: ohne vorbeiwehendes Herbstlaub, einbrechende Dunkelheit und Menschenleere kaum mystisch-gruselige Atmosphäre. Und die verlassene Tankstelle, einer meiner liebsten Fotospots, ist leider von einem Gelände-Jeep zugeparkt, so dass das ikonische Boot-an-historischer-Zapfsäule-Bild leider nicht nachgestellt werden kann. Erstaunlicherweise gibt es im Sommer mehr Infrastruktur als erwartet: sogar ein Raft-Campingplatz am Flussufer ist zu entdecken. Mit perfektem Einstieg, also steuern wir das Ganze an, fragen um Erlaubnis, dort das Auto abstellen zu dürfen (was nie ein Problem ist – und zwei Äpfel gibt´s gleich noch dazu geschenkt) und schon geht´s los! Die ersten fünfhundert Meter sind bekannt. Denke ich! Anscheinend habe ich das Gletscherwasser vergessen! Denn die erste Schikane (2019 eine Steinplatte, die sich gut abrutschen ließ) ist in Wellen und Querströmungen verschwunden. Der Plan: von links nach recht queren, um in ruhigen Kehrwasser zu landen. Jürgen turnt vor und kommt deutlich weiter unten an als gedacht. Oha! Die Strömung hat mehr auf Lager als angenommen. Also versuche ich ( Anmerkung: „versuche“!), weiter oben zu queren, um mir mehr Zeit zu verschaffen. Reicht nicht, ganz kann ich der Querströmung  nicht entkommen, dazu ein Fahrfehler: ich lehne mich nicht rein sondern raus. Schließlich will ich dort ja nicht sein. Diese Logik führt natürlich zu einer Kenterung, aber – juhuu! – die Rolle sitzt und ich bin wieder da!

Hui! Das ist ein anderer Rioni, als wir ihn kennen! Denn gleich geht´s ähnlich weiter! Der nächste abkippende Wellenzug, der in einer saftigen Querströmung endet: neben mir tobt eine mannshohe Querwelle, auch diesmal versuche ich zu entkommen, aber -zack! -  wieder tauche ich ab. Kleiner Trost: Jürgen hinter mir hat die Stelle ebenfalls unterschätzt und kommt nicht einmal so weit wie ich. Auch sein Kopf gerät unter Wasser. Im Gegensatz zu mir ist er allerdings in Sekundenschnell wieder oben. Was mir diesmal nicht gelingt, denn mein Bootchen kappelt im Sog, die Strömung kommt von der falschen Seite also steige ich aus.  Nachdem mein Loki geleert ist und wir beide wieder sitzen, befinden wir uns auf dem Boden der Tatsachen: dieser Fluss sieht zwar ein wenig aus wie der Abschnitt Imster Schlucht am Inn, ist es aber nicht und muss anders gefahren werden! Bei diesem Wasserstand presst er seine Fluten in die zahlreichen  Windungen, bildet hässliche Querströmungen und teilweise halbmeterhohe „Pilze“: luftdurchsetzte Wassermassen, die von unten aufsteigen und die Boote wie auf blubberndem Grießbrei hin und her schieben. Ab jetzt wird es spaßig! Gekonnt gekreuzt und auf die Herausforderungen vorbereitet klappt es plötzlich wirklich gut! Das ist Rioni 2025! Die meterhohen Schluchtwände, Hängebrücken und Schleierfälle sorgen für schönstes Ambiente! Wenn man mal Zeit zum Gucken hat, denn allzu viele Entspannungsstellen gibt´s nicht. Wohlbehalten erreichen wir nach elf Kilometern den ersten Ausstieg: meinen!

Denn ab hier legt das Ganze nochmal eine Schippe zu: Jürgen wird seinen Spaß haben! Zuerst jedoch wird via Fahrrad das Auto wieder eingesammelt. Der Platzbesitzer ist inzwischen auch anwesend, schickt seine Rafts ins Wasser und kennt natürlich auch Paddel-Kollegen Misha, den georgischen Guide. Und natürlich ist darum Jürgen auch gleich sein Kumpel denn: die Freunde meiner Freunde sind auch meine Freunde!  Kurz darauf verschwindet Jürgen mit seinem orangenen Ripper in der Schlucht und ich mit dem weißen (nein, eher ganz schön schmutzigen) Vito auf der Bergstraße. Und ab hier hat jeder sein eigenes Abenteuer! Meins heißt: gewundenes Sträßchen, links steile Abfälle, die Schlucht verschwindet tiefer und immer tiefer im Tal, während ich mich in den Himmel hinaufschraube. Keine Chance, einen Blick auf Jürgen und sein Boot zu erhaschen. Der Weg wird teilweise so schmal, dass die „13“ gerade noch so hindurchpasst, ich quetsche mich um die Kurven und hoffe auf keinen Gegenverkehr. Lautes Hupen an den undurchsichtigsten Stellen muss helfen. Über mit ragen die Felsblöcke aus den Wänden. Spannend! Noch spannender die Situation, als ich am verabredeten Ausstieg angekommen, auf den Ehemann warte. „Muss eine Stelle besichtigen“ lautet eine WhatsApp-Nachricht, gefolgt von zwanzig Minuten Stille und einem sich nicht bewegenden Symbol im Live-Standort! Was war passiert? Am besten lassen wir den Akteur selbst erzählen:

Gespannt setzte ich mich ins Kajak und freute mich auf meinen Solorun auf dem letzten Abschnitt des Rioni, Tvishi Lower – in der Whitewater-App beschrieben als wohl bester Wuchtwasser-Abschnitt des Flusses: „This is probably the best easy (?) run in Georgia – but do keep in mind that the river is really big and fast during glacier melt.“ Ok – Gletscherschmelze gibt es Mitte August reichlich, und gegen 16:00 Uhr ist dort auch einiges an Eiswasser unterwegs! Gleich zu Beginn geht es in eine enge, klammartige Schlucht mit wuchtigem Presswasser und einem beeindruckenden Naturslalom zwischen großen Felsblöcken. Ich denke mir: Hier ist volle Konzentration gefragt – hier möchte ich auf keinen Fall aussteigen müssen. Der Bach bleibt konstant wuchtig, und alle paar hundert Meter folgt eine enge Kurve oder ein weiterer Abfall. Laut Beschreibung soll es an einer Brücke einen schwereren Katarakt geben – doch nach gefühlt vier Brücken und etlichen Katarakten habe ich diesen Abschnitt immer noch nicht gefunden. Dann, nach einer weiteren Kurve, zieht das Wasser plötzlich sehr stark auf mehrere große Felsen zu. Das folgende Loch wirkt in meinem kleinen Kajak absolut unfahrbar – und schon gar nicht allein! Also paddle ich rechts ans Ufer und schreibe Laila eine Nachricht: Alles gut, aber ich muss mir die nächste Stelle genauer ansehen. Das gestaltet sich schwierig, da das Ufer steil ist und ich mit dem Kajak klettern muss. Bald wird klar: Ich muss die Anfahrt in diese Schikane umtragen, dann zwangsweise vor der Schlüsselstelle ans linke Ufer übersetzen und auch diese umtragen. Die Aktion kostet mich 20 Minuten und eine Menge Kraft – aber schließlich ist es geschafft, und ich kann Laila eine kurze Entwarnung schicken. Die letzten 30 Minuten bleiben weiterhin wuchtig, sind aber gut fahrbar. Und schon bald sehe ich Laila auf der Ausstiegsbrücke stehen!

Wohlbehalten treffen wir also an jener löchrigen, scheppernden Eisenbrücke irgendwo im Nirgendwo wieder aufeinander. Und sind beide völlig zufrieden mit unserem spannenden Tag! Was kann diesen Tag noch krönen? Natürlich das leckere Dinner im Gästehaus! Auf der Rückfahrt passieren wir am Straßenrand ein kotzendes Kind: auch das gehört wohl zu dieser Strecke dazu – siehe einmal mehr Blogeintrag 2019. Zusätzlich gibt es einen Unfall zu besichtigen. Und wir hatten uns schon gewundert: die fehlende Blechschadenquote stand bisher im Gegensatz zur zügigen Fahrweise auf dem falschen Fahrstreifen, am liebsten auf unübersichtlichen Bergstraßen. Vielleicht haben Georgier einfach einen sechsten Sinn im Straßenverkehr? Offensichtlich nicht alle…In Nikas gemütlicher Stube sitzen … die beiden Südafrikanerinnen. Was ist passiert? frage ich verwundert. Sie wollten doch auf dem Regenbogenfestival in Ghebi sein?!? Naja, ist die Antwort, die Anwohner des vorletzten Bergdorfes vor der südossetischen Grenze stehen solchen Neuerungen, trotz aller vorhandenen georgischen Gastfreundschaft, gelinde gesagt, skeptisch gegenüber und sahen im Zeichen des Regenbogens zusätzlich das allbekannte Symbol der queeren Bewegung. Womit sie ganz offensichtlich nichts anfangen konnten und wollten. Infolgedessen kam es nahe besagtem Bergdorf zu „Kämpfen“ zwischen den verschiedenen Parteien, was unsere beiden Mädels rechtzeitig erfuhren und darum erst gar nicht dort auftauchten, sondern zu Nika zurückkehrten. Wir alle vermuten, dass die Kommunikation der „Regenbogen-Veranstalter“ zu den Einheimischen möglicherweise im Vorfeld unglücklich bis gar nicht vorhanden gewesen sein könnte. Aber alles Spekulation, einziger Fakt: die Südafrikanerinnen können sich immerhin einige weitere köstliche Mahlzeiten schmecken lassen. Und wir ebenfalls!

Dem Lunchpaket entkommen wir indessen nicht! Eigentlich war das Frühstück am Sonntag mehr als ausreichend, um einen Tag mit Gletschersicht zu überstehen und sich dabei schon auf das Abendessen zu freuen. Aber so einfach können wir uns nicht an Nika vorbeischleichen. „It will be a long day!“ entscheidet er, gibt ein energisches Handzeichen Richtung Küche und in nullkommanichts stehen wir mit einem Picknickkorb in der Hand im Hausflur. Der alsbald ordentlich durchgerüttelt wird, denn die Anfahrt zu besagtem Gletscherblick gestaltet sich spannend. Zuerst wird ein enges Dörfchen inklusive der obligatorischen Hühner und Kühe durchquert und danach geht es auf die richtig wilde Piste! Nika war im Vorfeld von unserem höhergelegten 4x4-Camper höchst beeindruckt gewesen und konstatierte: der schafft die Strecke! Tut er, ich allerdings kralle mich eher unentspannt am Sitz fest. Die Strecke ist steil! Und löchrig! Und weist tiefste Fahrrillen auf! Rechts und links weicht Jürgen dem Schlimmsten aus, manchmal fällt die Entscheidung schwer: wird die schlechte oder die schlechte Seite genommen? Vielleicht ist es doch gut, einen Picknickkorb dabeizuhaben: Angstschweiß verbraucht Kalorien! Etwa hundert Höhenmeter vor dem angepeilten Ziel geben wir auf! Das Autochen hat alles gut gemeistert, aber jetzt reicht es auch! 

Ab hier klettern wir selbst! Und genießen, je höher wir steigen, fantastische 360-Grad-Ausblicke auf den großen Kaukasus! Gipfelreihe hinter Gipfelreihe, irgendwo dahinter Russland, die Flusstäler Ratscha-Letschchumis und mal wieder: Gletscher! Von hier aus können wir den Tbilisa-Gletscher, den Kirthishi-Gletscher und die vergletscherten Flanken des Chanchakhi-Massivs bestaunen. Dazu die mäandernden Gletscherflüsse, die sich in der Tiefe durch Kiesbetten graben. Östlich von uns Südossetien, die abtrünnige und von Russland besetzte Region. „Auf keinen Fall dort weitergehen!“ hatte Nika gewarnt und tatsächlich hält ein deutlich erkennbares Schild uns davon ab. Nein, hier haben wir nichts verloren: noch ein Gebiet, in dem Russland unberechtigt seine Finger drin hat! Die Drohne fliegt also Richtung Westen und Süden, um die sagenhafte Bergwelt für uns festzuhalten. Ein rundum entspannter Tag, könnte man meinen. Wäre, nach dem spannenden Aufstieg im Auto nicht alsbald der nicht minder spannende Abstieg zu bewältigen. Und hätten Jürgen und ich uns im eigentlich gar nicht unübersichtlichen Gelände mal einige Zeit aus den Augen verloren. Sowas passiert, wenn jeder sein eigenes Ding macht (Drohne fliegen, Hügel erkunden), ohne sich abzusprechen. Und ohne Internet.  Wir finden uns natürlich wieder, aber habe ich die gestrige Paddelaktion als aufregend beschrieben? Ich glaube, heute hat das Nervenkostüm mehr gelitten! 

Für den Montag nehmen wir uns also was Entspanntes vor: die labyrinthartige Höhle in den Bergregionen oberhalb von Oni! Natürlich nicht allein, schließlich kennen wir diesen Ort und seine unvorstellbare Ausdehnung schon vom letzten Mal. Darin verlorenzugehen ist kein Problem. Nika fährt also ein weiteres Mal mit uns über die (inzwischen) zumindest bis zu einem bestimmten Punkt ausgebaute Bergstraße, danach über steile Schotterstraßen und eine enge Fahrrinne durch dschungelartiges Grün. Kein Problem für seinen Offroader! An der Ausfahrt bei Oni fällt uns ein riesiges Plakat mit einem gefährlich grimmig dreinblickenden, Silbermedaille tragenden Ringer auf. Ein Sportler aus Oni, auf den sie zu Recht stolz sind. Aber warum schaut er so wütend, sollte er sich nicht über seinen Sieg freuen? fragen wir Nika. „Ihr solltet erstmal seinen Vater sehen!“ meint dieser. Und ob er nur so böse aussieht oder es auch wirklich ist? Beides! ist die Antwort. Ob das ein Teils seines Erfolgskonzeptes ist? Wie dem auch sei, nach einer kleinen Wanderung durch dichtes Grün entlang eines Bächleins, gähnt der dunkle Höhlenschlund vor uns.

Gut, dass wir Nikas „Rubberboots“ angezogen haben, denn die Höhlentour startet in oben erwähntem Gewässer und führt in absolute Dunkelheit, die wir mit unseren Lampen erhellen. Labyrinthe aus zu skurrilen Formen ausgewaschenem Kalkstein, Tropfsteine, die zu Millionen von den Decken hängen, Felsstürze, die überklettert werden müssen, Wasser tropft und plätschert überall. Ich habe schnell die Orientierung verloren, zu viele Abzweigungen haben wir passiert. Immer wieder zwängen wir uns durch enge Durchgänge oder bücken uns unter tiefhängenden Felsplatten hindurch. Eine einzelne Fledermaus hat den Sommer verpasst und hängt einsam ohne ihre Artgenossen schlafend an der Wand. Von diesem Höhlensystem sind derzeit gute zwei Kilometer in der Länge und vierzig Meter in der Tiefe bekannt. Vermutlich gibt´s noch mehr und wirklich erschlossen ist noch nichts davon. Ein paar ambitionierte Schweizer haben wohl kürzlich angefangen, verschiedenen Messungen, beispielsweise zum sich verändernden Wasserstand, aufzuzeichnen. Für uns ist eine solche Wanderung in Tiefe und Dunkelheit jedenfalls ein Highlight. Auch Nika zeigt das Spektakel gerne vor. Seine Highlights jedoch sind andere: das von uns vorgeschlagene Höhlenpicknick zum einen (wenn man dem Lunchpaket schon nicht entkommt), denn ein solches hat er bisher noch nicht erlebt. Und der Fund eines intakten, vergessenen Snickers-Riegels eines anderen Besuchers irgendwo in der hintersten Ecke der Grotte. Und gerade mal ein Jahr abgelaufen! Was eine Entdeckung!

Nach mehr als zwei Stunden erblicken wir das warme Sonnenlicht, mit der „kleinen Tour“ kamen wir diesmal nicht davon! Die kalten Glieder können auftauen und ja: dieser Tag fühlt sich endlich wirklich entspannt an! Irgendwann muss es ja auch mal klappen! Und um unser Ratcha-Letschchumi-Erlebnis auf´s Beste abzurunden tauchen abends im Gästehaus drei georgische Mädels aus dem Dorf auf, um mit einer Art Ukulele und gewaltigem Stimmpotenzial traditionelle Musik aufzuspielen. Getanzt wird auch und hier lässt Nikas Vater keinen entkommen: jeder muss einmal auf die Bühne (einzig Jürgen schlüpft irgendwie durch) und darf mehr oder weniger gekonnt die leichtfüßigen Tanzschritte der Musikerinnen nachmachen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer polnischen Yoga-Gruppe stellen sich ziemlich gut an, über meine Darbietung dürfen andere urteilen. Auch sonst wird das Publikum selbstbewusst und sehr bestimmt in die Darbietungen mit eingebunden und als wir die drei Mädels im Anschluss ein bisschen interviewen und nach ihrem Alter befragen sind wir ziemlich baff: zwischen dreizehn und fünfzehn sind sie. Und wirken wie echte Profis! Und um was geht´s in den Liedern? Schwer zu erklären, aber im Kern, so verstehen wir um Berge, Herzschmerz und Heimat. Was haben wir noch gelernt? Dass es georgische Begriffe gibt, die nur dafür da sind, zu beschreiben, wie ein Schmetterling fliegt oder Regentropfen wie Tränen unter Grashalmen hängen. Und ich glaube, das beschreibt die georgische Seele ziemlich gut. 

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