Die Alte Heerstraße, eine historisch bedeutende Fernstraße im Großen Kaukasus verbindet auf 213 Kilometern das georgische Tbilisi und das russische Wladikawkas. Erwähnt wurde sie als Karawanenstraße schon im ersten Jahrhundert vor Christus. Die kürzeste und zugleich beschwerlichste Route über die hohen Gipfel wurde nicht selten von Räubern, Lawinen und Wetterunbilden heimgesucht. 1783 wurde Georgien offiziell unter den Schutz des zaristischen Russland gestellt, was gleichbedeutend mit einem Anschluss an das große Land war. So schien es folgerichtig, den Karawanenpfad zu einer für das Heer nutzbaren Straße auszubauen. Bis 1863 dauerte die Fertigstellung – manche deutsche Straßenbaustelle ist nicht schneller! Trotz der verbesserten Bedingungen benötigten die Truppen des Heeres immer noch einen ganzen Monat, um vom russischen Wladikawakas ins georgische Tbilisi zu gelangen. Heute sind wir auf dieser Strecke deutlich schneller unterwegs, wenn auch nicht ganz so entspannt, wie wir es uns vorgestellt haben. Denn die Alte Heerstraße mit dem touristischen Super-Highlight Stepanzminda (früher Kazbegi) mit der ikonischen Zminda-Sameba-Kirche vor Georgiens dritthöchstem Berg Kasbeg (5033m) ist DAS Foto-Motiv schlechthin! Man sollte fast glauben, wer hier nicht gewesen ist, war nie wirklich in Georgien! Bevor wir allerdings in all die Freuden und Leiden besagter Heerstraße einscheren entdecken wir am Ufer des Zhinvali-Stausees nicht nur jede Menge (arabische) Touristen nebst den üblichen herzförmigen Foto-Points-mit-türkisfarbenem-Wasser-im-Hintergrund, nicht nur die prächtige Ananuri-Kirche (ebenfalls vor türkisfarbenem Wasser) sondern, ebenfalls türkisfarben, aber trotzdem nicht gut genug getarnt, das altbekannte Nostalgie-Mobil von Nina und Aurelius. Wir halten also ungeachtet des Trubels kurz an, um zu erfahren, welche Projekte gerade so anstehen (ein Film über einen kachetischen Weinbotschafter wird geschnitten), was die nächsten Ziele sind (irgendwie verfolgen wir uns seit Svaneti gegenseitig) und erfahren von Aurelius, dass das sehr gesunde Sulfat-Schwefelwasser tatsächlich nur gesund ist, wenn es, wie empfohlen, in Maßen zu sich genommen wird. Viel hilft nicht immer viel und führte in diesem Fall zu einem „flotten Otto“. Die Badepause im See ist erfrischend und anschließend sind wir bereit, uns in den Trubel der Heerstraße zu stürzen.

Die Aussicht soll grandios sein, die ersten Kilometer können wir allerdings nichts davon entdecken, denn am rechten Straßenrand parken Lastwagen. Nicht Dutzende, eher hunderte, Serpentine für Serpentine. Georgische, russische, armenische. Auch heute noch ist dies eine wichtige Transitstrecke zwischen Russland, Georgien und Armenien, noch wichtiger, da Aserbaidschan keinen Straßenverkehr passieren lässt und daher dieser Umweg in Kauf genommen werden muss. Hinter den LKW schlängelt sich der Fluss Tergi (auf dieser Strecke wird trotz der Mehr-Kies-als-Wasser-Situation eifrig Rafting angeboten), irgendwann lichtet sich das Trucker-Chaos und: WOW! Die Aussicht ist das, was versprochen wurde und mehr. Gipfel hinter Gipfel, höher und höher schrauben wir uns hinauf, endlose Täler, ausgesetzte Plateaus. Ich stimme zu: einmal MUSS man hier gewesen sein. Und wir sind noch nicht einmal oben. Seltsam und unpassend (wie ich finde): der von mir so benannte „Halal-Tourismus“. Für die arabischen Gäste wird sozusagen der Rote Teppich ausgerollt. Auf Plakaten wird mit „Halal“-Speisen geworben und das skurrilste: in Gattern zwängen sich Schafherden aneinander, die auf Wunsch der Araber vor deren Augen geschlachtet (geschächtet?), gehäutet und zubereitet werden. Damit auch alles seine Richtigkeit hat? Schade um die georgische Tradition und Kultur an dieser Stelle. Ein bisschen sind die seit Kriegsbeginn und Unruhen in Tbilisi ausbleibenden europäischen Besucher vielleicht mit daran schuld. In den Jahren davor wurde der Tourismus hoffnungsvoll ausgebaut und auch gerne angenommen und dann plötzlich – der Einbruch. Irgendwie muss ja Geld ins Land kommen. Ebenfalls skurril: wie so oft übernehmen chinesische Firmen komplette Bau-Großprojekt, wie in diesem Fall den neuen Passtunnel in Richtung Russland, was zur Folge hat, dass die Staaten sich bei China über Jahre hinweg verschulden und ihnen Zugänge ermöglichen. Und auch hier: wahrscheinlich muss wieder Geld ins Land kommen. Die nördliche Bosporus-Brücke ist ein weiteres Beispiel in dieser Reihe. Schöne Ausblicke gibt es hier trotzdem zuhauf: der Kreuzpass auf knapp dreitausend Metern Höhe, imposante Kalksteinstufen am Straßenrand, Wasserfälle. Offene Stromkästen auf den Wiesenhängen gewähren Einblicke in die elektrische Versorgung der Bergdörfer und an der Kreuzung zur russischen Grenze entsteht ein Stau. Dort wollen wir natürlich nicht hin und machen uns nach dessen Auflösung auf die Suche nach einem Schlafplatz.
Ganz bis ins touristische Stepanzminda wollen wir heute noch nicht und folgen einem Park4Night-Tipp. Vorbei an einer der typischen Kirchen ins Truso-Tal, entlang des erwähnten Tergi und seinen weiten Ufern (hier könnte auch übernachtet werden) führt uns ein Seitenweg eine rumpelige Schotterstraße hinauf. Jedoch nicht lange, denn der Pfad wurde kürzlich von einem Kiesrutsch teilweise verschüttet. Dieser Platz ist für uns nicht zu erreichen. Wir entscheiden, weiter das Tal hinaufzufahren, passieren eine Furt, ein verlassen wirkendes Dörfchen (nicht ganz verlassen, ein altes Weiblein sitzt vor einem Steinhäuschen) mit verfallenem Wehrturm, der Pfad weist breite Spurrillen auf. Hier ist vom touristischen Komfort wenig zu spüren. Auf einer Wiese hoch über dem Fluss mit Blick auf rötliche Steinwände und entlang des engen Tals (und in Geruchsweite der ersten Sulfat-Schwefel-Quelle) stellen wir die „13“ ab. Was für schöner Platz nach all dem Trubel und Gerumpel. Ein paar zurückkehrende Wanderer und Ausflugs-Jeeps grüßen freundlich, ansonsten rauscht nur der Tergi. Über uns der Sternenhimmel mit Milchstraße und direkt im Blickfeld der vertraute Große Wagen.
Bevor wir uns am nächsten Morgen auf den Weg machen, das fantastische Truso-Tal zu erkunden ein kleines Update. Wer kann sich noch an die vier jungen Engländer erinnern, die wir auf dem türkischen Campingplatz in Macka kennenlernen durften und die sich mitten in der „Mongol Rally“ und auf dem Weg zum ostkasachischen Ziel befanden? Um es kurz zu machen: sie hatten die Vorgaben (ein möglichst ungeeignetes Fahrzeug zu benutzen und in Wüsten steckenzubleiben) voll erfüllt und mehr oder weniger jede Werkstatt am Wegesrand mitgenommen, um „Felicity“ wieder und wieder flott zu bekommen. Und sie haben ihr Ziel tatsächlich (mit einem Plattfuß zweihundert Meter vor Ende) erreicht. Meine Lieblingsgeschichte teile ich nun an dieser Stelle mit Euch: am usbekischen Grenzübertritt versagte “Felicity“ einmal mehr ihren Dienst, was zur Folge hatte, dass der kräftigste der vier (der sich zuvor noch über fehlende Sport-Einheiten beschwert hatte) das Fahrzeug über die Grenze schieben musste. Denn, wie oft üblich, müssen alle Beifahrer den Übergang zu Fuß bestreiten, während nur der Fahrer am Wagen bleiben darf. Auf die Frage eines Usbeken, ob denn alles in Ordnung sei, wollte Rufus (der Engländer) auf Grund fehlender gemeinsamer Sprache das Nicht-Funktionieren der Zündung demonstrieren. Worauf „Felicity“ sofort ansprang und einen ratlosen Usbeken zurückließ, der sich nicht erklären konnte, warum der junge Mann sein Auto unbedingt über die Grenze schieben wollte.
Wir haben am Mittwochmorgen kaum die Wanderschuhe fertig geschnürt, da gesellt sich schon der erste Mitwanderer zu uns: mit Raimund aus München bestreiten wir die ersten Kilometer der insgesamt zwanzig durchs Truso-Tal. Mein Fazit (nicht zu Raimund, sondern zum Tal): mega! Eine wunderschöne und abwechslungsreiche Tour! Die zwanzig Kilometer hin und zurück sind durch mäßige Steigung nicht besonders anstrengend, dafür kann umso mehr gestaunt werden. Sulfat-Schwefelquellen, die den ganzen Untergrund rostrot, gelb, orange und weiß färben; winzige Schlammvulkane, verursacht durch aus den Tiefen aufsteigende Schwefelgase; Geisterdörfer; Wehrtürme; eine zerfallene Festung auf einem Hügel; ein Mineralwasserteich, der beinahe sprudelt wie ein Whirlpool; ein von Nonnen und Mönchen bewirtschaftetes Kloster am Wegesrand, in dem leckere Suppe gespeist werden kann; jede Menge freundliches Getier und mal wieder: die Grenze zu Südossetien. Von der Festung aus können weite Blicke ins abtrünnige Gebiet gewagt werde. Und überhaupt: die Aussicht im ausgesetzt wirkenden Tal und auf die Gipfel ringsherum, inklusive der Bergkette „Zwölf Apostel“ ist einmalig! Dank Drohne können wir sogar einen ersten Blick auf den Kazbeg werfen: in unserem Fall sogar auf dessen Rückseite! Und wer kann das schon von sich behaupten?
Am Kloster treffen wir auf das Münchner Paar Andrea und Holger, mit denen wir auf unserer Mestia-Ushguli-Tour schon einen Abend in Adishi verbracht hatten. Gut, dass die gemütliche Klosterterrasse gleich nebenan liegt, so können wir das Treffen gleich fortsetzen.

Was brachte der Tag noch? Neue Wanderstöcke, die auf den teilweise steilen Abstiegen mein Tempo entscheidend erhöhen könnten. Raimund hatte sie in Tbilisi gekauft und möchte sie auf seinem Rückflug nach Deutschland nicht dabei haben. Was für ein Glück für uns beide!

Immer noch Glück am nächsten Morgen, denn die Umgebung sieht auch bei Regen und Wind fantastisch aus, nur das Duschen (perfektioniert übrigens nach nahezu fünf Monaten mit Waschschüssel, Teekanne, heißem! Wasser und Teamwork) geht selbst im Windschatten heute doppelt so schnell. Böblingerin Susanne, die zufällig des Weges kommt, um das herrliche Truso-Tal zu erkunden, unterbricht ihren Plan kurzzeitig und flüchtet schnurstracks unter unsere zusätzlich mit Seitenwand gemütlich aufgestellte Markise vor Windböen und Regen. Auch zu dritt sitzt es sich nett bei Tee und Frühstück, das obligatorische Milchschaum-Bild wird in die Welt gepostet und angeblich sieht Jürgen darauf aus wie ein Waldschrat, wird aus der Heimat mitgeteilt. Der letzte Barber-Besuch lag halt noch in der Türkei…

Unser Plan sieht heute vor, die ikonische Sicht auf die Gergeti-Sameba-Kirche in Stefantsminda zu genießen, in der Hoffnung, dass die dichte Wolkendecke im Lauf des Tages wenigstens kurz den Blick auf die imposante Bergkulisse freigibt. Dieses malerische Szenario in knapp 2200 Metern Höhe macht die Kirche aus dem vierzehnten Jahrhundert zu so etwas wie einem Symbol für Georgien schlechthin. Insbesondere der dahinter aufragende Gipfel des Kazbeg (5033 Meter hoch und somit dritthöchster Berg Georgiens und achthöchster des Kaukasus) sorgt für viel Aufsehen. Hier soll der griechischen Mythologie zufolge Prometheus für 30 000 Jahre angekettet worden sein, weil er den Göttern das Feuer entwendete und den Menschen gab. In gefährlichen Zeiten wie zum Beispiel bei persischen oder osmanischen Angriffen diente die Kirche in ihrer ausgesetzten Lage auf einem Hügel als Zufluchtsort und unter anderem auch als Versteck des Kreuzes der allgegenwärtigen Nationalheiligen Nino. Ganz so abgeschieden liegt das Gemäuer heute nicht mehr. Noch vor wenigen Jahren war es nur zu Fuß oder mit Geländefahrzeugen erreichbar, die Serpentinenstraße wurde aber zwischenzeitlich asphaltiert und ist somit gefahrlos befahrbar. Eine Ausnahme bildet vielleicht jene Situation, die Paddelkollege Bernie an dieser Stelle erlebte: die Bremsen des von ihm inklusive Fahrer gemieteten Jeeps waren wohl nicht ganz in Stand, weshalb das vor ihm fahrende Fahrzeug als Bremsklotz genutzt wurde. Wir preisen den guten Zustand unserer „13“, denn trotz der intakten Straße geht´s hier steil zu Tal und die Serpentinendichte ist hoch! Was gibt es also über die berühmte Stätte zu berichten? Natürlich sind wir nicht alleine, schließlich ist dies ja Georgiens berühmtester Ausblick. Von dem im Moment nicht allzuviel zu sehen ist, denn die Wolken hängen tief. Und auf welcher Seite befindet sich nun eigentlich der berühmte Kazbeg (den wir dank Drohnenbild ja immerhin schon von hinten kennen)? Großes Rätselraten, ein paar Google-Bilder werden zu Rate gezogen und seltsam: der hinter den Wolken ermittelte Standort des Berges stimmt nicht mit den Internet-Bildern überein. Hier befindet sich der Turm mit dem goldenen Dach auf der „falschen“ Seite. Sollten alle Fotos gespiegelt sein? Spoiler: dieses Rätsel soll sich noch im Laufe des Tages lösen. Imposant ist das Ganze auf jeden Fall (ohne Baustelle wäre es vielleicht noch beeindruckender) und wer vorhat, nach Georgien zu kommen, sollte nicht darauf verzichten, auf eine Stippvisite vorbeizukommen, um das obligatorische Bild zu knipsen. Allzu viel Zeit muss man nicht einplanen, denn der Ort Stefantsminda ist nicht wirklich sehenswert, die Wanderungen rundherum zwar schön, die Einheimischen jedoch (wie wir hören) trotz der viel besungenen Gastfreundschaft der Georgier hier inzwischen eher genervt ob des ganzen Rummels. Und so beschließen wir, maximal eine Nacht im Ort zu verbringen: auf der Wiese direkt unterhalb der Gergeti-Sameba-Kirche haben wir einen einsamen Camper erblickt, da stellen wir uns doch später einfach dazu und genießen beim Frühstück den Anblick des hoffentlich auftauchenden Bergpanoramas.
Vorher jedoch sind wir mit Jess und Declan aus Australien zum Dinner verabredet. Sie planen eine Wanderung in die Berge und weilen derzeit in einem Gästehaus im Ort. Beim Verlassen des Lokals decken wir dann auch das Geheimnis um die „spiegelverkehrte Kirche“ auf: auf den meisten bekannten Bildern befindet sich nicht der Kazbeg im Hintergrund, sondern die auf der anderen Seite direkt hinter Stefantsminda aufragende imposante Felswand. Von unserer Position aus taucht jedoch tatsächlich kurz der berühmte Gipfel zwischen den Wolkenmassen auf und kann sofort inklusive Kirche abgelichtet werden. Tschacka! Später zurück auf dem Hügel gibt´s gleich zwei Überraschungen: freie Sicht auf Kirche und Felswand (noch ein Foto!) und freie Sicht auf die zuvor noch nahezu leere Zeltwiese.
Keine Überraschung eigentlich: das Ganze ist kein Geheimtipp: inzwischen sind weitere Camper und Zelter eingezogen. Trotzdem bleiben? Inzwischen wird es schon dunkel und eigentlich habe ich keine Lust, fünfundvierzig Minuten zurück und mit schlechter Sicht über die Rumpelpiste zum alten Platz zu fahren, so schön er auch sein mag. Also peilen wir einen einigermaßen eben erscheinenden Platz an einem kleinen Wäldchen an und stellen beim Hinunterrumpeln fest: von Gras überwuchert und darum unsichtbar befinden sich hier tiefe Scharten im Untergrund. Zurück über den steilen Abhang geht nicht, also hoppeln wir Stück für Stück nach vorne weiter. Vorsichtig, einen Hügel nach dem anderen, immer mit der Angst, die treue „13“ könnte doch nicht hoch genug sein. Ich glaube, eine schlimmere Strecke mussten wir bisher nicht bewältigen! Von außen muss das Ganze weit unterhaltsamer ausgesehen haben, denn kaum sind wir glücklich wieder oben angekommen werden wir von einem lachenden, älteren Paar aus Calw empfangen: er (immerhin fragt er noch, ob etwas kaputt gegangen wäre – zum Glück nicht) in Heavy-Metal-Shirt und Strubbelfrisur, sie sichtlich bekifft (vor dem Camper steht eine immense Wasserpfeife): wir verabschieden uns alsbald, taufen die beiden „Kiffi und Fiffi“ und verlassen die Wiese. Hier ist kein Platz mehr vorhanden und so fahren wir, trotz Dunkelheit, noch einmal die herrliche Stelle am Tergi an. Die beste Entscheidung, denn der nächste Morgen bringt wieder Sonne, so dass die Drohne weitere spektakuläre Bilder ablichten kann.
Rückwärts geht´s über die Alte Heerstraße, diesmal mit etwas mehr Zeit, sich das Spektakel in Ruhe anzuschauen. Die Ausblicke in die majestätische Bergwelt und die tiefen Täler sind fantastisch! Gleitschirmflieger sind heute unterwegs und malen bunte Tupfen in den weiß-blauen Himmel, kurzer Stopp an einer Quelle (Wasserkanister neu befüllen) und ein Besuch beim Kriegerdenkmal am Kreuzpass für die gefallenen Soldaten des Zweiten Weltkriegs. Oberhalb vom Skiort Gudauri stoppen wir an einem einzigartigen Relikt aus der Sowjetzeit: dem monumentalen Denkmal zur 200jährigen russisch-georgischen „Freundschaft“, das 1988 errichtet wurde. Hier ist ordentlich was los: Reisebusse spucken Menschenmassen aus, überall Buden mit allerlei Schnickschnack, die obligatorischen Herzrahmen, in denen man sich gegenseitig vor Bergwelt oder Denkmal ablichten kann. Plus professionelle Drohnenflieger, bei denen man sich für dreißig bis sechzig Lari innerhalb des Monuments inszenieren lassen kann. Machen wir nicht, sondern stärken uns lieber mit einer Kartoffelspirale, bevor wir den Rest der Heerstraße hinuntergondeln.
Vorbei wieder an den endlosen Schlangen wartender LKW auf dem Weg zur russischen Grenze. Viele davon, wie allenthalben an der Beschriftung zu erkennen, irgendwann aus Deutschland aufgekauft, andere Modelle uralt und aus Sowjetzeiten. Allen gemein: sie warten. Und warten! Wer weiß, wie lange! Wieder passieren wir den Ort Ananuri mit seiner imposanten Kirche am Zhinvali-Stausee und (ein vertrauter Anblick) der türkisfarbene Nostalgie-Camper von Nina und Aurelius steht noch immer dort. Wir erfahren: in den letzten Tagen wurde unter anderem der Film über ein verlassenes Sanatorium, in dem Stalin geweilt haben soll fertiggestellt. Gerne auf YouTube anschauen! Am Nachmittag entern wir einen großen, schönen, nahezu leeren und direkt am Fluss Aragvi gelegenen Campingplatz.
Am Nachmittag entern wir einen großen, schönen, nahezu leeren und direkt am Fluss Aragvi gelegenen Campingplatz. Eine Empfehlung vom georgischen Paddelguide Misha und eine gute Gelegenheit, noch einmal große Wäsche zu machen, bevor wir in der Bergwelt Khevsuretis verschwinden. Platzbesitzer Soso gibt und einige interessante Einblicke in Georgiens derzeitige Lage: der „Halal-Tourismus“ läuft ähnlich ab, wie wir es uns schon gedacht haben. Die sehr reichen arabischen Gäste zahlen für ein geschlachtetes Schaf das zigfache seines Wertes, die allenthalben aufgestellten Zelte dienen dazu, den Frauen während des Essens Sichtschutz zu gewähren. Natürlich kann man keinem Georgier verdenken, Geld verdienen zu wollen, denn laut Soso, gibt es nicht allzu viele Möglichkeiten, zu etwas zu kommen. Soso sieht die einzige Chance seines Landes derzeit in der Neutralität, denn aktuell setzt sowohl Russland, wie auch die EU es stark unter Druck. Russland möchte seine Waren weiterhin über und nach Georgien exportieren, die EU wiederum verlangt die Sanktionierung des Nachbarlandes. Auch Erdogan streckt wohl seine Finger nach Teilen Georgiens aus, in den türkischen Schulen wird erzählt, dass diese Regionen in der Vergangenheit zur Türkei gehörten und gegeben Falls georgische Türken oder türkische Georgier (?!?) wieder angesiedelt werden sollen. So die Aussage von Soso. Eine vertrackte Situation, die einmal mehr zeigt, wie sehr Georgien der Spielball der es umgebenden Mächte ist!
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