Unser Übergang ins nächste Land wird passend untermalt von mehreren plan- und unplanbaren sichtbaren Veränderungen. Nummer eins: das Wetter! Gefühlt seit Monaten knallt die Sonne bei erträglichen und unerträglichen Temperaturen vom Himmel. Ein gefühlt immerwährender Sommer sozusagen – oder kann sich noch irgendjemand an das wochenlange Regendesaster im Retezat erinnern? Kaum auf dem traumhaften Weingut Ibero in Kacheti angekommen ziehen jedoch dunkelgraue und tiefschwarze Wolkenmassen am Himmel auf, die für die nächsten anderthalb Tage mehr oder weniger durchgängig alles fluten, was sich nicht rechtzeitig unters Terrassendächle geflüchtet hat. Was zu einer kleinen (und klugen) Unterbrechung der Weiterreise führt, und zwar nicht nur bei uns! Auch Uli und Jo schlafen morgens erstmal aus, gefolgt vom gemeinsamen ausgedehnten Frühstück unter besagtem Dächle, von wo aus wir nicht nur den rauschenden Regenvorhang, sondern auch den (überhaupt nicht voranschreitenden) Trocknungsprozess unserer Wäsche beobachten können. Denn bei derart hoher Luftfeuchtigkeit ändert sich deren Zustand natürlich auch unterm Vordach nicht. Nicht schlimm heute, sowohl die Unterhosen wie auch wir haben Zeit! Wir legen eine Gedenkminute für die beiden Slowaken ein, die in den frühen Morgenstunden nach Vashlovani aufbrachen, um Abenteuer zu erleben. Bei dieser Wetterlage, trotz Offroader, vielleicht ein bisschen zu viel davon? Wir stellen uns den Zustand der steilen Erdpisten im strömenden Regen vor und hoffen zu viert, dass die beiden ihren Start um einen Tag verschoben haben. Langweilig wird´s uns in unserem einigermaßen trockenen Refugium nicht. Nach dem Frühstück wird´s „schaffig“. Der Blog; die Bilder, die sortiert werden müssen; diverse Einträge in die verschiedenen Apps; weiterer Reiseplanung… Ulis und Jos führt nach Tbilisi, unsere nach Armenien. Dieser kleine Zwischenatemzug in gemütlicher Umgebung wirkt wie geplant, Kekse, Tee und vom Weingutbesitzer dazu gelieferte Trauben passen bestens dazu. Die Heidelberger haben zudem mit einer Herausforderung der besonderen Art zu tun: seit einigen Tagen fährt ein blinder Passagier mit Mausezähnen im Camper mit und knabbert nachts heimlich an den Keksvorräten. Trotz Generalinventur taucht der unliebsame Gast nicht auf und es wird befürchtet, er (oder sogar mehrere davon) könnten es sich in der Verkleidung gemütlich gemacht haben. Gutsbesitzer David wird nach einem „Mausefallenladen“ befragt und somit drücken wir alle die Daumen, dass sich das Problem somit bald erledigt haben wird. Inzwischen findet (obwohl gar nicht Donnerstag ist) ein weiterer „Die-Kerle-kochen!-Abend statt, bei dem Uli und ich das leckere Ergebnis genießen dürfen. Alles wie zu Hause also!
Und dann geht´s weiter! Abschied vom grandiosen Georgien also, zumindest beinahe. Denn um in die Türkei zurückzukommen müssen (oder dürfen) wir das Land natürlich noch einmal kreuzen. Die armenisch-türkische Grenze lässt ja nach wie vor niemanden durch. Mir kommt es entgegen, noch nicht endgültig „goodbye“ sagen zu müssen, das nimmt dem Ganzen die Endgültigkeit und lässt auf „mehr Georgien“ hoffen. So können wir erst einmal neugierig dem nächsten Abenteuer entgegenblicken. Armenien also! Was werden wir erleben und was wissen wir eigentlich? Nicht allzu viel zugegebenermaßen. Ein weiteres christliches Land mit jeder Menge Klöster und alter Kultur, wieder eine Nation, die in nahezu ihrer gesamten Geschichte von allen möglichen Invasoren heimgesucht wurde (und diese verschiedenen Kulturen in ihre eigene Kultur einfließen), zuletzt wie so viele Teil der Sowjetunion, neue (für uns unleserliche) Schriftzeichen und eine hoch gelobte Gastfreundschaft. Wir sind gespannt!
Georgien verabschiedet sich auf den letzten Kilometern mit seinen unendlichen Straßenständen, an denen verkauft wird, was Garten und Feld gerade so hergeben. In diesem Fall: Tomaten! Und ein paar restliche Melonen. Dazwischen in jedem noch so kleinen Ort die typischen Bäckereien mit ihren brunnenförmigen Backöfen. Jede Region hat ihre eigene Brotkreation, geschmacklich ähnlich, aber unterschiedlich in der Form. Kacheti bäckt schmal und länglich! Ein bisschen gallische Asterix-Stimmung also: Brot und Tomaten, Tomaten und Brot. Und ein bisschen Wein. Wir kaufen von den ersten beiden (Wein packten wir schon bei Ibero ein) und stellen zweierlei fest: Tomatenmengen unter der bereitgestellten Eimergröße sind nicht vorgesehen (aber natürlich machen die netten Georgier für uns trotzdem eine Ausnahme) und: das frisch gebackene Brot ist so lecker, dass wir bis zur armenischen Grenze die Hälfte schon weggefuttert haben. Was vielleicht ganz gut ist, denn rund um die Grenze ist Geduld gefragt. Eine der letzten Grenzstädte Kizilajlo ist nicht nur verkehrstechnisch völlig chaotisch und grandios hässlich inklusive der üblichen Google-Maps-Fehlleitungen (aber dafür kann die Stadt nichts), sondern hat immerhin in einem der zahllosen „Autoteileshops“ am Straßenrand endlich ein paar Kanister AdBlue für uns im Angebot! Seit drei Ländern sind wir auf der Suche danach und spielten schon mit dem Gedanken, es uns zuschicken zu lassen. Anscheinend findet man in diesen Regionen technisch alternative, AdBlue-freie Lösungen.
Triumphierend fahren wir an der armenischen Grenze vor und … warten erst einmal. Ich am Straßenrand (denn auch hier dürfen die Passagiere zu Fuß überqueren und „welcome to Armenia!“ ruft der Zöllner euphorisch) und Jürgen im Auto. Zuerst am Schlagbaum und dann zwischen den LKW. Denn anscheinend ist auch unsere „13“ ein Truck – der Menge der theoretisch installierbaren Sitze wegen? Genau erfahren wir es nicht, Jürgen (der Fahrer) darf aber mit allen anderen LKW-Fahrern die gleiche Prozedur durchlaufen. Alle sind (wie erwartet) nett, aber auch sehr gründlich! Und so gewinnt die georgisch-armenische Grenze den Sonderpreis für die längste Übergangsprozedur der bisherigen Auszeit! Gut nur, dass uns am Versicherungshäuschen (denn auch in Armenien muss eine spezielle Kfz-Versicherung abgeschlossen werden) gleich eine halbvolle Packung Schokoladenwaffeln überreicht wird: „Armenian chocolat! Very good!“ Und das ist sie! Was fällt uns auf? Neue Straßenstände mit unfassbar lecker und frisch aussehendem Obst, Nüssen und Gemüse, alte Weiblein und Männlein dahinter, die ihre Schätze aus Garten und Feld verkaufen. Unterschied zu Georgien? Es gibt nicht nur Tomaten und Melonen, sondern die ganze breite Vielfalt, der spätsommerlichen Ernte: Bohnen, Pfirsiche, Pflaumen, Gurken… ! Wir decken uns gleich mit ein paar Früchten ein und bezahlen (die neue Umrechnung zwei Euro sind gleich tausend Dram) gelingt noch ein bisschen holprig und lässt zuerst einmal an deren Richtigkeit zweifeln, denn gefühlt zahlen wir nahezu nichts. Aber alles richtig. Auch hier werden wir Probleme bekommen, das eingewechselte Geld unter die Leute zu bringen. Umso öfter werden wir Restaurant- und Gästehausbesuche legitimiert wissen. Schließlich darf die Bevölkerung auch etwas von unserem Besuch haben. Weiterhin bemerken wir eine deutliche Verbesserung der Straßensituation. Seit Monaten auf Schlaglochpisten unterwegs befinden wir uns plötzlich auf bestens asphaltierten, nagelneu wirkenden Straßen! Seit 2018 ist hier eine überaus beliebte Regierung am Start, vermutlich wurde seither das Straßennetz erfolgreich saniert. Und so rollen wir entspannt unserem ersten Schlafplatz entgegen: „Tereza Camping“ nahe der Stadt Alaverdi. Und sofort bekommen wir einen Eindruck der berühmten armenischen Gastfreundschaft! Tereza, eine ältere Dame, hat mit ihrem Mann Gago ein Gelände mitten in der Pampa mit viel Energie, Liebe und künstlerischem Talent ausgebaut. Auf die Wände eines Schuppens beispielsweise malte sie die touristischen Attraktionen der Region, überall wachsen Blumen, Kräuter, Obst und Gemüse in wildem Mix, unter einer großen Linde mitten im Hof gemütliche Sitzgelegenheiten. Außer uns sitzt hier allerdings zur Zeit niemand, die Saison scheint vorüber. Umso erfreuter zeigt sich Tereza über unseren Besuch: wir dürfen Platz nehmen und bekommen sofort Gartenkräutertee, Feigen und Schokolade serviert. Außerdem stellt sie uns hellrote relativ feste Beeren (?) auf den Tisch. Probieren! gestikuliert sie. Sauer! im ersten Moment mit Kern in der Mitte und uns unbekannt. Tereza nennt den armenischen Begriff, was keine Erhellung bringt. Das Internet hilft. Kornelkirschen sind es, frisch geerntet und werden hier zu Marmelade und dem beliebten „Kompot“ verarbeitet: Saft mit Obst drin, haltbar gemacht. Ob wir Dinner wollen, fragt Tereza via Übersetzungs-App. Wer sind wir, dass wir dazu nein sagen? Also sitzen wir bald bei gegrilltem Lamm, Bratkartoffeln, eingelegten Paprika, Tomaten- und Gurkensalat, Brot, Wein, Kompot und armenischem „Kognak“ im Garten und können uns kaum noch regen, so satt sind wir. Meine Antwort auf Terezas Frage, was ich denn trinken wolle („Wasser“) löst übrigens bei ihr einen kleinen Lachanfall aus: völlig undenkbar. Schließlich sind die Trauben, aus denen der Wein gemacht wurde aus ihrem Garten! Und eigentlich haben wir ein paar Stunden später beim Frühstück noch nicht wirklich wieder Hunger, aber Tereza tischt wieder auf: Brötchen, Eier, Käse, Harissa, Gemüse und Obst, Honig, Butter und – als wir eigentlich schon satt sind – kommt sie noch mit un-fass-bar leckerem, süßem Gebäck um die Ecke! Welches natürlich auch ohne Hunger gegessen werden kann, zumindest von mir! Natürlich bedanken wir uns herzlich, wenn auch mit aus zwei Gründen vorhandenen Schwierigkeiten. Grund Nummer eins: die armenische Sprache klingt für uns fremd und geht nicht gut ins Ohr. Danke zum Beispiel heißt „shnorhakalutyun“, was auch mir ordentlich Mühe bereitet. Grund Nummer zwei: Dank in Form von beispielsweise Trinkgeld wird nicht gerne angenommen. Und wenn, dann gibt´s gleich noch eine Tüte Kornelkirschen obendrauf. Wobei – wahrscheinlich hätte es die auch so gegeben! Umgerechnet bezahlen wir etwa zwanzig Euro für schlafen, essen und schönste Gastfreundschaft!
Das armenische Essen überzeugt schon mal, die Gastfreundschaft auch. Was ist noch typisch? Ich glaube, jeder, der an Armenien denkt, hat sofort die ikonischen Bilder der mittelalterlichen Klöster vor Augen. Sie gehören zu den ältesten der Welt, liegen oft spektakulär in der Landschaft und sind UNESCO-Weltkulturerbe. Bevor wir uns auf den Weg machen, ein paar dieser Bauten, über die man auf Schritt und Tritt stolpert, selbst in Augenschein zu nehmen, lernen wir ein paar interessante Dinge über die Religion dieses Landes. Armenien gilt als eines der religiös homogensten Länder der Welt: 94 bis 97 Prozent der Bevölkerung gehört der armenisch-apostolischen Kirche an . Diese Kirche ist eine der ältesten christlichen Kirchen der Welt, Armenien erklärte das Christentum schon im Jahre 301 nach Christi zur Staatsreligion. Somit blieb dann augenscheinlich genug Zeit, im Laufe der Jahrhunderte eine Menge Sakralbauten im Land aufzustellen, die bis heute erstaunlich gut erhalten (und restauriert) sind. Das erste Kloster am Wegesrand, gleich oberhalb der Debed-Schlucht gelegen, gilt als eines der schönsten Armeniens und nennt sich Haghpat, was übersetzt ungefähr „gewaltige Mauer“ bedeutet und sich auf seine mächtigen Befestigungsanlagen bezieht. Und tatsächlich: die Anlage, die sich mit verschiedenen wuchtig wirkenden Gebäuden auf dem grünen Hügel ausbreitet wirkt ziemlich uneinnehmbar und beeindruckend. Gebaut ab dem zehnten Jahrhundert wurde sie im Laufe der nächsten Jahrhunderte immer mehr erweitert. Und so können wir nun (begleitet von einigen begeisterten japanischen Touristen) Weinkeller, Kuppelkirchen, Bibliotheken, Säulengänge, Altarräume und die zahlreichen Grabplatten besichtigen. Die in der Tat etwas Besonderes sind. Neben ihrer Funktion, die Gebeine der Toten zu schützen, dienen sie als überdimensionale Fußbodenplatten. Überall, wo entlanggegangen wird bedecken sie auf unregelmäßige (und ziemlich unebene) Art und Weise die Böden: sei es in den Hallen, den Durchgängen oder den Vorplätzen. Namen oder Symbole sind darauf eingraviert. An den rauen Kalksteinwänden der Gebäude wuseln kleine Agamen mit Drachenköpfen hin und her und verschwinden blitzschnell in den schmalen Spalten des Gesteins. Ein bisschen Magie, ein bisschen Harry Potter-Feeling und ganz schön viel armenische Kultur!
Um Jürgen nicht völlig zu überfordern gondeln wir erstmal weiter am Debed -Fluss entlang und – bevor das nächste Kloster auf dem Plan steht – taucht am Flussufer plötzlich etwas auf, das kurz und knapp als „überdimensionale rostige, sowjetische Industrie-Bauruine“ zu beschreiben ist. In der Luft über uns hängt eine stillgelegte, museumsreife Seilbahngondel, vor den sich im Hintergrund aufbauenden zackigen Bergmassiven erhebt sich ein riesiger rötlich gemauerter Schornstein. Davor Bauten aus verfallenem Beton und rostigem Stahl. Und offensichtlich alles längst nicht mehr in Betrieb (was nicht stimmt, wie wir später erfahren). Was immer das auch ist: wir parken die „13“ am Straßenrand des Örtchens namens Alaverdi und schlängeln uns an einer Absperrung vorbei: hier hat der Fluss Debed anscheinend einen Teil der Straße mitgerissen, so dass nur noch eine Spur vorhanden ist. Lebhaftes Gewusel auf den Straßen: wir sind in der Innenstadt gelandet, überall wieder die appetitlichen Obst- und Gemüsestände, in den Metzgereien stehen meterdicke Baumstümpfe, benutzt als Fleischhackklötze mitten in den Räumen. Und Brot wird am Fließband produziert: der Teig läuft durch ein System aus erhitzten Walzen und bäckt so zu milimeterdünnen endlosen Brotbahnen aus, die meterweise eingekauft werden können. Dazwischen ein Barbershop: hier legt Jürgen einen Stopp ein, denn schließlich möchte er sich nicht nachsagen lassen, er sähe aus wie ein Waldschrat! Dieser Barber allerdings ist zwar im Hauptberuf evangelischer Priester (oder ist das sein Nebenerwerb?), allerdings nur im Haarschneide- und nicht im Rasier-Bereich. Immerhin ist Jürgen hinterher nur noch ein halber Waldschrat und wir können die wahre Attraktion Alaverdis, die historischen Kupferschmelzanlagen, in Augenschein nehmen. Gegründet 1770 gelten sie als eines der ältesten industriellen Zentren Armeniens und waren lange ein Symbol für den Beginn der modernen Bergbaugeschichte der Region. Unter dem russischen Zarenreich lieferte das Werk nahezu ein Viertel des Kupferbedarfs Russlands und hatte in dieser Zeit den Höhepunkt seiner Produktion erreicht. In Zeiten der Sowjetunion wurde das Werk zwar modernisiert, die grundlegenden Probleme seitens Umweltverschmutzung durch zum Beispiel Chemikalien, die das Kupfer aus dem Gestein lösten blieben aber und führten Anfang der Neunziger Jahre zu Protesten aus der Bevölkerung und zu einer kurzfristigen Stilllegung. Trotzdem wurde der Betrieb des Werks kurz darauf unter Beteiligung deutscher und französischer Firmen wieder aufgenommen und seitdem, ohne wirklich etwas an den katastrophalen Zuständen zu ändern, mal mehr mal weniger aufrecht erhalten. Mit diesem Hintergrundwissen wirken die gelben Schlieren, die aus Richtung der Kupferfabrik in den Debed fließen, gleich viel weniger romantsich. Ein wenig fühlt man sich an das Horrorszenario im rumänischen Geamana erinnert. Nichtsdestotrotz sind am Flussufer zahlreiche Angler zu entdecken, die teilweise ihre Beute, noch am Haken hängend, an den Straßenränder feilbieten. Wir verzichten lieber und flüchten uns auf die historische Tamar-Brücke aus dem zwölften Jahrhundert. Davor eine Statue des Mönchs St Mesrop Mashtot, der als der Erfinder der armenischen Schrift im fünften Jahrhundert gilt. Dieses Alphabet enthält 35 Buchstaben und Zahlensymbole, mit denen damals erstmals Sprache schriftlich festgehalten werden konnte in einer Form, die besser zu den Lauten des Armenischen passte als frühere Schriften.
Trotz des nicht nur schönen Hintergrunds: zweifellos hat Alaverdi eine ganz eigene Art des Charmes und damit wir nicht aus der Übung kommen, fahren wir noch schnell ein weiteres Kloster an: Ihr wisst ja, die stehen hier überall rum und können nicht übersehen werden. Dieses Kloster namens Sanahin, Baubeginn ebenfalls um das zehnte Jahrhundert herum, liegt hoch über Alaverdi und wirkt mit seinem Gelände voller alter Grabplatten, dunkler Kapellen und mittelalterlicher Studiensäle wiederum wie eine Filmkulisse für einen mystischen Mittelalterfilm. Anzutreffen sind außerdem dieselben Busse mit denselben japanischen Touristen wie in Haghpat. Was nicht schlecht ist, denn an den überall aufgebauten obligatorischen Buden mit Souvenir-Schnickschnack lenken sie die motivierten Verkäuferinnen bestens von unserer Anwesenheit ab, so dass wir ohne weitere Verkaufsgespräche entkommen können.
Unser heutiger Schlafplatz beinhaltet ein Wäldchen oberhalb von Dilijan nebst einem weiteren Lost Place. Ein wuchtiger in Sowjetzeiten gebauter Konzertsaal, durch die Fenster die Marmorfoyers, die monumentale Bühne, die aufgebauten Stuhlreihen und die verzierten Flügeltüren zu erkennen. Aber ganz offensichtlich seit Jahrzehnten außer Betrieb. In der Dunkelheit hören wir ein Konzert verschiedener Eulen und Nachtreiher und – ein weiteres Highlight! - beim Zähneputzen landet eine Eule direkt mit gegenüber auf einem Pfosten und schaut mir neugierig zu!
Und hat eigentlich irgendjemand den Kalender im Blick? Wir anscheinend nicht, denn am nächsten Morgen, dem 10.SEPTEMBER!!!, haben wir nicht nur vergessen, dass unser Hochzeitstag ist (zum Glück gratulieren Schwägerin Bettina und ein Schwarm Bienenfresser gerade noch rechtzeitig), sondern auch nicht gelesen, dass Jürgen einen Arbeitstermin hat.
Gelobt sei das Internet, das uns auf beides aufmerksam macht! Und so startet der Morgen erstmal mit allerlei Arbeit, gefolgt von einer kleinen Wanderung, die am eher touristischen Parz-See („klarer See“) startet und in einem idyllischen, einsamen Waldgebiet mit uralten Buchen weitergeht. Zwischen den Bäumen grasen Kühe und rufen sich gegenseitig Nachrichten zu. Als in der Ferne der Donner zu grollen beginnt geben wir zwar Gas, trotzdem sind wir nicht schnell genug, dem Gewitter mit Hagelschauer zu entkommen und können so zwar völlig durchnässt, aber immerhin in schönem weißen Ambiente den letzten Kilometer bestreiten. Andere hat es schlimmer erwischt: die über einer Restaurantterrasse gespannte Schatten-Plane ist komplett gerissen und ratlos starren die Besitzer in das entstandene Chaos.
Der Vorteil, seine Wohnung immer dabei zu haben zeigt sich einmal mehr: trockene Kleidung und Handtücher sind reichlich vorhanden und so gondeln wir kurze Zeit später unseren Hochzeitstags-Ambiente entgegen: zur Feier des Tages gönnen wir uns ein Gästehaus mit armenischem Menü im Örtchen Gosh, idyllisch gelegen zwischen sich langsam herbstlich verfärbendem Wald und an die Pfalz erinnernden Felsformationen. Und in der Tat: das Essen ist köstlich, die Gastfreundschaft groß und in unserem großen Appartement mit nostalgischer Ausstattung und kleinem Stromausfall schlafen wir bestens, während die treue „13“ draußen vor einem (was wohl?) Kloster namens Goschawank Wache hält.
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