Abenteuer-Autos, die Sperenzchen machen? Kennen anscheinend nicht nur wir. Am späten Vormittag wird Steffens Mercedes-Camper auf den Abschlepplaster aufgeladen und nach Yerevan verfrachtet: Grüße und Fehlermeldung vom Getriebe, das sich so nicht mehr starten ließ. Und auch alle anderen hier anwesenden Langzeitreisenden haben passende Abschlepp-Geschichten auf Lager. Anscheinend gehören die irgendwie dazu oder dieser bezaubernde Campingplatz lässt nur Autos mit entsprechender Vergangenheit ein? Wir hoffen mal nicht, drücken Steffen fest die Daumen und entscheiden spontan, einen weiteren Tag am Platz zu bleiben.
Kurzer Zwischen-Atemzug, nachdem wir Armenien (weil es so schön ist und wir am liebsten ALLES sehen möchten) doch relativ schnell nach allen Richtungen durchmessen haben. Was bringt uns der sonnige Tag? Frisch gewaschene Wäsche und nette Schwätzchen mit Herta und Günther aus Österreich und mit Faltbootpaddler Rolf aus Nordrhein Westfalen. Außerdem schon wieder Kälte am Abend (wir ahnen nicht, was demnächst noch kommt), doch zum Glück heizt Platz-Besitzerin Sandra kräftig in ihrer guten Stube ein!

Wir sind also bestens gerüstet für die nächsten Abenteuer: diesmal geht´s in die große Stadt. Genau genommen in die mit einer guten Million Einwohner größte, die Armenien zu bieten hat: Yerevan, die Hauptstadt! Auf dem Weg dorthin machen wir kurzen Stopp bei der „Symphonie of stones“ im Garni Canyon. Skurrile fünf- und sechseckige Basaltsäulen, angeordnet wie eine überdimensionale Orgel! Entstanden vor Millionen von Jahren durch abkühlende Lavaströme!
Und dann wird´s spannend! Zuerst vor allem auf den Straßen, denn so freundlich und zuvorkommend die Armenier auch sein mögen: in ihren Autos werden sie zum Tier! Was in einsamen Bergregionen nur am Rande auffällt, im wuseligen Stadtverkehr Richtung Yerevan-Zentrum, wo wir uns ein Hotel gebucht haben, aber ganz schön aufregend ist. Von allen Seiten wird überholt und sich in nicht vorhandene Lücken gequetscht, wo es geht (und auch nicht geht) heulen die Motoren und wird das Höchsttempo herausgeholt und sei es nur für achtunddreißig Meter. Die Einfahrt zum Hotelparkplatz ist zwischen den großen Häuserfassaden kaum zu erkennen, weshalb wir sie gleich mal verpassen. Umdrehen ist natürlich nicht, also haben wir das Vergnügen, eine weitere Runde in Yerevans Straßenchaos zu erleben. Aber: Ende gut, alles gut. Wir benötigen keine dritte Runde und nachdem Auto geparkt und Zimmer bezogen ist, dürfen wir die Hauptstadt ab jetzt zu Fuß erleben.
Die meisten Sehenswürdigkeiten befinden sich ohnehin auf relativ kleinem Raum im Stadtzentrum, so dass die tapfere „13“ eine wohlverdiente Pause einlegen darf. Was fällt zuerst auf? Unglaublich viele junge Menschen (gefühlt liegt der Altersschnitt bei fünfundzwanzig) bevölkern das Straßenbild. Yerevan ist das Bildungszentrum Armeniens, etliche renommierte Universitäten mit nahezu jeglicher Ausrichtung gibt es hier. Was es (noch) nicht gibt ist die Auslagerung von Fahrzeugen aus dem Stadtzentrum. Der beschriebene Verkehr braust ungehindert über alle Straßen direkt an den Sehenswürdigkeiten und Lokalen vorbei. Ausnahmen sind glücklicherweise einige Parks und eine neu angelegte Einkaufsstraße. Um einen Überblick zu bekommen, verfolgen wir ein bestens bewährtes Konzept: die Free Walking Tour. Auch hier erwartet uns ein lokaler Guide, um uns die Sehenswürdigkeiten seiner Heimatstadt zu zeigen. Schon 800 vor Christi wurde sie das erste Mal erwähnt, war seitdem durchgehend bewohnt und war im Laufe ihrer Geschichte wechselweise armenisches Königreich oder zum persischen, osmanischen oder russischen Reich gehörend. Besonders aus der Sowjetzeit sind etliche der typischen pompösen und oft überdimensioniert wirkenden Gebäude erhalten geblieben. Und leider verschwanden in diesem Zuge etliche alte Gebäude, vorwiegend Moscheen, aber auch einige Kirchen. Das mag einer der Gründe sein, warum die Stadt, trotz ihres Alters, nicht „alt“ wirkt. Vako (unser Guide) findet es dennoch wichtig, zu vermitteln, dass die Sowjetunion nicht automatisch nur mit Russland in Verbindung gebracht werden sollte, sondern ein Verband aus fünfzehn Staaten war und aus Armeniens Geschichte nicht wegzudenken ist. Yerevan wurde übrigens 1918 Hauptstadt der unabhängigen Republik Armenien und behielt diese Funktion auch während der Sowjetzeit und danach. Während unseres dreistündigen Stadtspaziergangs sehen wir allerhand Symbolik: was mögen wohl die Farben der armenischen Flagge bedeuten, werden wir gefragt. Rot=der Granatapfel, Symbol für Volk (Kerne)und König (die umhüllende Schale), blau=Weintrauben, Symbol für die uralte Weintradition, orange=Aprikose, Symbol für..? Vergessen -schmeckt halt gut? Der Granatapfel scheint besonders wichtig zu sein, denn wir sehen in nahezu überall: auf Steinfiguren und Skulpturen, in jeder Form von Touri-Schnickschnack vom granatapfelförmigen Becher bis zum Shirt und Wandgemälde. Und natürlich kann an jeder Ecke frisch gepresster Granatapfelsaft gekauft werden. Das Sonnensymbol (oft an Steinfassaden zu sehen) hat ebenfalls große Bedeutung: passend dazu hat Yerevan bis zu 2700 Sonnenstunden pro Jahr und nur sehr wenig Niederschlag zu verzeichnen und Vako lobt uns sogleich: die allerbeste Reisezeit haben wir ausgesucht- nicht mehr so heiß, aber noch schönstes Sonnenwetter!
Warum die Hauptstadt „The pink city“ genannt wird, sehen wir auch sofort: der rote Sandstein ist das am häufigsten verwendete Baumaterial. Was wurde noch gebaut? Eintausendsiebenhundertfünfzig kleine Wasserfontänen in langestreckten Becken, die sich durch einen Park nahe des Platzes der Republik ziehen. Warum diese Menge? Zum damals zahlengleichen Stadtjubiläum! Ein Vierteljahrhundert später wurde jedoch nicht an gleicher Stelle weitergebaut, sondern an anderer Stelle wiederum fünfundzwanzig Wasserfontänen erbaut. Und noch ein weiteres Mal das gleiche Spiel. Vako meint, die Stadt hätte ein wenig Angst vor dem nächsten Jubiläum, aber immerhin sind so die vielen Springbrunnen erklärt! Uns wird erzählt – leider sind wir nicht zum richtigen Zeitpunkt hier – gibt es sogar ein jährliches „Wasserfest“, an dem nicht nur in den Springbrunnen gebadet werden darf, sondern aus allen Fenstern entlang der Straßen Wasser geschüttet wird und sogar die Polizei mit Wasserwerfern mit am Start ist! Hört sich nach einem spannenden Event für Paddler an und wir könnten somit einen Grund haben, bald wieder herzukommen! Ebenfalls erwähnt wird an dieser Stelle der berühmte Leopard, auf den man im ganzen Land wohl mächtig stolz ist! Auch wenn Internet-Quellen behaupten, das Tier wäre hier längst ausgestorben, wird uns hier nun das Gegenteil erzählt: Leo „Neo“ stromert inzwischen angeblich nicht mehr alleine, kürzlich soll „Nea“ aus Asien zu ihm gestoßen sein (Wildkameras sollen Beweise geliefert haben…). Ob es wohl bald lauter kleine Leos zu bestaunen geben wird? Die Anzahl der Fahrzeuge auf den Straßen fühlt sich übrigens nicht nur immens an: sie ist es auch! 800 000 Autos auf eine gute Million Einwohner findet auch Vako zuviel! Irgendwann wird die Verkehrsberuhigung kommen. Meint er. Wann? Das steht in den Sternen! Ende.
Viel berichten kann er dagegen über armenisches Bier und Kognak. Ersteres wird in zahlreichen, kleinen Brauereien im Stadtgebiet hergestellt, zweiteres besitzt eine ganz eigene Geschichte. Armenischer aus Wein hergestellter Kognak nämlich besitzt weltweit einen einzigartigen Ruf und wird schon seit dem 19. Jahrhundert gebrannt. Die Herstellungsmethode kopierten die Armenier allerdings von den Franzosen. Was für diese ab dem Zeitpunkt, als dieser Kognak internationale Preis gewann, völlig in Ordnung war und sogar erlaubt wurde, den Name Kognak offiziell zu verwenden. Das wiederum ist heutzutage nicht mehr erlaubt, zumindest nicht im Ausland: hier muss er „Armenian Brandy“ heißen. Spannende Sache, genauso wie die ganze Führung. Nach drei Stunden sind wir ganz schön hungrig und speisen köstliches armenisches Menü in einem kleinen Lokal. Natürlich mit dem prestigeträchtigen Kognak am
Ein bisschen Kunst muss sein, wenn man schon mal in Yerevan ist. Schließlich gibt´s hier neben Opern, Kinos und Theaterhäusern auch jede Menge Kunstausstellungen. Für alles reicht die Zeit nicht – Ihr wisst ja, wir sind auf dem Heimweg – und so suchen wir nach Frühstück (Ararat-Blick!) und Besuch im hoteleigenen Pool das bekannteste und am meisten empfohlene Spektakel auf: das Cafesyian Center of Arts.

Direkt hinter der Oper und unterhalb des Stadthügels auf dem ein bunt beleuchtetes Riesenrad und die riesige Statue von „Mother Armenia“ thront. Dieses Kunstmuseum wird auch Cascades genannt, was durchaus passend ist, denn im Wesentlichen handelt es sich um eine riesige Steintreppe, in deren Außenbereich die namensgebenden Springbrunnen zu besichtigen sind, während im Inneren verschiedene Ausstellungen zu sehen sind, verbunden mit einer riesigen Rolltreppe. Muss man schon mal gesehen haben, genießt die Bilder! Die Zeitschiene des Baus könnte allerdings die Vorlage für Stuttgart 21 gewesen sein: schon in den 1920er Jahren von einem sowjetischen Architekten zur Modernisierung Yerevans konzipiert, begannen die Bauarbeiten dann endlich 1980, kamen aber schon acht Jahre später auf Grund eines verheerenden Erdbebens zum Stillstand. Das heißt: die obersten beiden „Treppenstufen“, die die Lücke zum Aussichtsplatz ganz oben auf dem Stadtberg schließen sollen, fehlen momentan noch. Wie wir von oben beobachten können, finden derzeit einige Abrissarbeiten der alten Struktur statt. Hier soll in den kommenden Jahren die Fertigstellung zu besichtigen sein. Ein weiterer Grund, wiederzukommen! Was ebenfalls bestens von hier oben zu sehen ist, ist der Ararat! Dieser riesige Berg ist von nahezu überall zu entdecken und thront regelrecht über der Stadt. Dunst und Nebel sorgen dafür, dass oft nur die schneebedeckte Spitze sichtbar ist. Ich nenne ihn darum für mich den „schwebenden Berg“ und bin riesiger Fan von ihm! Trotzdem müssen wir den spektakulären Aussichtspunkt oberhalb Yerevans irgendwann wieder verlassen, am Fuße der Cascades gibt´s dafür nochmal Kunst und Skulpturen zu sehen.
Und noch mehr Kunst, diesmal allerdings auf einem lokalen Markt. „Vernissage“ nennt sich die parkähnliche Verkaufsfläche und hier gibt´s alles, was Besucher brauchen – oder auch nicht brauchen. Silber und handgemachte Schachbretter sind der große Renner, dazu allerlei Geschirr, manches wirklich hübsch (aber der Camper hat immer noch ein Platzproblem!), vieles mit den bewussten Granatapfelmotiven. Gerne gekauft werden auch Köfferchen, bestückt mit meterlangen Schaschlikspießen, Schnapsbechern aus Zinn, Fleischermessern und Flachmann: ein Barbecue-Set der Extraklasse! Und wer nach soviel Kunst etwas für sein Wohnzimmer erstehen möchte: hier ist die Gelegenheit dazu! Gemälde noch und nöcher! Mein Lieblingsmotiv? Der zerteilte Hering mit Bierglas (wahlweise Schnapsflasche) und Zigarettenschachtel! Nach so viel Sightseeing haben wir natürlich wieder Hunger und das Glück, nicht nur einen netten Biergarten (die armenische Version mit kleiner Brauerei) zu entdecken, sondern zumindest noch den Soundcheck einer kleinen Jazzband mitzuerleben. Zu mehr bleibt leider nicht die Zeit: spätestens übermorgen (so der Plan, aber wer weiß schon, was wieder daraus wird) sollten wir unser neues Lieblingsland verlassen haben. Zur Aufmunterung gibt´s noch ein Highlight: eine kleine Bäckerei verkauft BAUERBROT!!! Nach knapp sechs Monaten Weißbrot von Slowenien bis Armenien und alle Länder dazwischen ist dieses hier zwar auch kein Vollkornbrot aber: immerhin deutlich kerniger und rustikaler als alles andere, was es in diesen Landstrichen zu kaufen gibt! Brot kann Deutschland halt schon! Und anscheinend auch diese kleine, armenische Bäckerei! Ich kaufe gleich ein großes und bepackt mit diesem Schatz gibt´s noch einmal (zum Abschied) Spaß mit Yerevans 800 000-Auto-Verkehrschaos!
Und als Kontrastprogramm befindet sich unser neuer Schlafplatz auf knapp 3.200m Höhe am Fuße von Armeniens höchstem Berg Aragaz in Sichtweite des grandiosen Ararat! Zwei-Gipfel-Camping sozusagen! Mit Sichelmond und Sternenspektakel, Minusgraden und Eiszauber! Noch mehr Kontrastprogramm zur angenehm temperierten Hauptstadt!
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Rose und Jochen8 (Sonntag, 28 September 2025 11:45)
Hallo ihr Beide!
Habt ihr den, gleichen, Sichelmond Wie wir?
Grüssle
150 Liter Regen gab's am Mittwoch hier bei Ivo bei dem starken Gewitter